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Thomas Schmid von Rapp AG über urbane Logistik der Zukunft

von Redaktion Loginfo24

Interview mit Thomas Schmid, Verkehrs- und Transportberater, Rapp Trans AG. Die Fragen stellte Michael Hauenstein, Leiter Marketing & Verkauf, swissconnect AG. Thematisiert wird die urbane, d.h. städtische Logistik der Zukunft mit besonderem Fokus auf umsetzbare Lösungsansätze.

(Basel / Luzern) – Thomas Schmid von der Rapp Trans AG setzt sich seit mehreren Jahren mit der urbanen Logistik in der Schweiz auseinander. Im Auftrag der Städtekonferenz Mobilität hat er eine Studie erarbeitet, welche aufzeigt, was unter «urbaner Logistik» bzw. «City Logistik» zu verstehen ist. Dargestellt werden auch konzeptionelle, planerische und regulatorische Handlungsfelder für Städte und Agglomerationsgemeinden. Sie fragen sich, welche Herausforderungen auf Kurierdienste, welche Expresslieferungen in Innenstädten anbieten, zukommen werden und welche Lösungsansätze es gibt? Im folgenden Interview erfahren Sie mehr dazu.

Hauenstein: Der Verkehr wächst seit Jahren und mit ihm auch die Anzahl Staustunden. Gleichzeitig wird der Motorfahrzeugverkehr in den Städten zunehmend eingeschränkt. Für viele Logistikunternehmen bedeutet dies, dass Lieferungen in Städten länger dauern und teurer werden. Gibt es Lösungsansätze? 

Schmid: Die Verkehrsflächen sind bekanntlich begrenzt und die zahlreichen unterschiedlichen Nutzer konkurrieren sich um das knappe Gut der Strasse und der Be- und Entladeflächen. Es handelt sich dabei aber lediglich um ein Spitzenstundenproblem, die Abendspitze mit einer Kombination von Freizeit-, Einkaufs- und Pendlerverkehr ist dabei besonders kritisch. Für Kurier- und Expressdienstleister, die mit ihrer Dienstleistung ein Zeitversprechen abgeben, ist die beschränkte Verlässlichkeit und Planbarkeit natürlich besonders problematisch. Es gibt zahlreiche Lösungsansätze, wie Dienstleister damit umgehen können. Erstens kann versucht werden, die Stauzeit zu vermeiden resp. der vom Kunden gewünschte Lieferzeitpunkt wird über einen Stauzuschlag resp. ein Peak-Pricing hin zu einem weniger verkehrsintensiven Zeitpunkt verschoben. Die Stückguttransporteure verrechnen seit einigen Jahren Stauzuschläge und die steigenden Kosten müssen durch die Logistikdienstleister auf die Nutzer umgewälzt werden, wenn sie ihre Leistungen kostendeckend erbringen und nicht durch andere Geschäfte subventionieren wollen. Dieser Ansatz ist natürlich nicht sehr interessant, weil es etwas Mut und ein gewisses Selbstbewusstsein braucht. Gleichzeitig ist bekannt, dass die Kunden sehr preissensitiv sind und die Gefahr besteht, einen Kunden an den Wettbewerber zu verlieren. Zweitens kann versucht werden, die Transporte auf verlässlichere Verkehrsmittel zu verlagern. Das Modell der swissconnect ag ist ein Vorzeigebeispiel. Es zeigt, wie die Vorteile des getakteten verlässlichen öffentlichen Personenverkehrs zwischen den Zentren der Städte zusammen mit den wendigen Velokurieren auf der letzten Meile in den Innenstädten genutzt werden. Drittens kann in die Verbesserung zahlreicher weiterer Elemente auf der Logistikkette investiert werden, z.B. in die Ausbildung des Personals sowohl in der Disposition wie auch bei den Kurieren, in die Informations- und Kommunikationssysteme, etc.

Hauenstein: Motorisierte Kurierfahrzeuge stehen häufig im Stau. Hinzukommt, dass die Kuriere in den Stadtzentren keine geeignete Fläche finden, um ihr Auto / Lieferwagen zu parkieren, während sie Waren abholen bzw. liefern. Wie sollte dies zukünftig aussehen?

Schmid: Im theoretischen Idealbild erfolgt der Be- und Entlad von Fahrzeugen der urbanen Logistik auf privatem Grund. Flächen dafür werden auf öffentlichem Grund nicht zur Verfügung gestellt. Grundsätzlich besteht gemäss Strassenverkehrsgesetz SVG Art.37 sogar die Möglichkeit des Güterumschlags auf der Strasse, wenn Fahrzeuge nicht ausserhalb der Strasse oder Abseits vom Verkehr halten können. Dies führt dazu, dass sich bei der Ver- und Entsorgung von Haushalten und Unternehmen mit Gütern im urbanen Raum noch keine sogenannten „Haltestellen“ und „Umsteigeknoten“ haben herausbilden können. Die individuelle Türzustellung ist zudem immer noch das, was die Kunden nachfragen. Solange es sich die Anbieter leisten können, parallele und redundante Zustelldienstleistungen zu unterhalten, wird sich das Bild auf der letzten Meile mit den zahlreichen KEP-Fahrzeugen der verschiedensten Anbietern, die sich die vorhandenen Güterumschlagflächen teilen müssen, auch nicht ändern.

In Zukunft werden wir jedoch vermehrt über ad-on-Lösungen bei Logistik-Hosts – das Agenturenmodell der Post in den Detailhandelsfilialen fällt darunter – , über offene und betreiberunabhängige Sammel- und Abholstationen – siehe das von KOMO subventionierte Projekt zur Smart-Station in Basel – und über Mikro-Hubs (das sind Umschlagstellen für Waren), ab welchen Quartiere und Siedlungen bedient werden, sprechen.

Hauenstein: In den grössten 23 Schweizer Städten gibt es lokal verankerte Velokuriere. Welche Rolle spielen sie in der urbanen Logistik?

Schmid: Die Velokuriere kommen aus dem Kuriergeschäft, wo es darum geht, Eilsendungen zu transportieren. In welchem Umfang es gelingt, Velokuriere auch für den Transport von Paketen und Stückgut mit Cargobikes einzusetzen, ist offen. Rikscha-Taxi oder Notime verfolgen solche Strategien und gerade die steigenden Paketmengen während der Corona-Lockdown-Zeit haben den KEP-Dienstleistern auch die Grenzen der Velos aufgezeigt. Für den Transport von z.B. 100 Paketen ist das Cargobike dann das richtige Transportmittel, wenn diese 100 Pakete nicht gebündelt, sondern vereinzelt transportiert werden müssen, was sich aber betriebswirtschaftlich kaum darstellen lässt. Interessant sind einerseits horizontale Kooperationsmodelle zwischen Logistikdienstleistern, die die letzte Meile nicht mehr selber fahren möchten oder andererseits neue Modelle der Quartierlogistik, wo sich Velokuriere auf die letzte Meile und die Türzustellung in Quartieren fokussieren. Entscheidend ist die Strategie und das Geschäftsmodell der Logistikdienstleistung, nicht primär das eingesetzte Transportmittel alleine. Möchten Velokuriere eine Rolle bei der zukünftigen urbanen Logistik spielen, sollten sie sich auch über ihre Rolle bei den „Haltestellen“ und den „Umsteigeknoten“, über ihre Kooperationspartner und die zu verändernden gesetzlichen Rahmenbedingungen Gedanken machen.

Hauenstein: Nebst physischen Waren, werden gleichzeitig auch Daten transportiert. Der Kunde möchte beispielsweise wissen, wann seine Waren geliefert werden und die Kurierbetriebe wollen ihre Sendungsverteilung effizient planen. Welche Rolle spielt eine übergeordnete Logistiksoftware, um die Sendungen in den einzelnen Städten zu managen?

Schmid: Die Kontrolle und Verfügbarkeit von Informationen über die gesamte Logistikkette ist zentral. Daten führen zu Informationen und Informationen zu Wissen. Wer hier die Nase vorne hat, kann Netzwerke managen, Partner integrieren und das Interface zum Kunden unterhalten. Es braucht aber aus meiner Sicht keine hoheitliche Instanz, bzw. es ist keine staatliche Aufgabe, eine übergeordnete Logistiksoftware zu erstellen und zu betreiben. Wichtig ist, dass sich sämtliche Beteiligte in der Logistikkette auf Standards des Informationsaustauschs einigen, damit ein gesunder und fairer Wettbewerb bestehen bleibt und die Möglichkeit der horizontalen und vertikalen Zusammenarbeit geschaffen wird.

Hauenstein: Die Kon­trolle und Verfügbar­keit von Infor­mationen über die gesamte Logistik­kette ist zentral. Daten führen zu Infor­mationen und Infor­mationen zu Wissen. Logistikhubs werden genutzt, um Waren umzuschlagen. Wie wichtig sind diese für eine funktionierende City Logistik und gibt es genügend solcher Umschlagsflächen in Stadtnähe?

Schmid: Wir unterscheiden verschiedene Typen von Logistikhubs. Vom bahnerschlossenen City-Hub hinter dem Staugürtel über den Quartierhub bis zum Mikro-Hub. Sie sind sehr wichtig für die Bündelung der Warenströme, den Umschlag zwischen den Transportmitteln und für den wesensgerechten Verkehrsmitteleinsatz. Die meisten grossen und erfolgreichen Logistikdienstleister setzen sich intensiv seit Jahren mit der strategischen Entwicklung ihrer Netze und den Logistikhubs auseinander und sie investieren sehr viel Geld in solche Anlagen. Die Flächen zum Erhalt bestehende Anlagen in den urbanen Räumen stehen enorm unter Druck und neue Flächen zu finden, ist nochmals viel schwieriger. Die meisten Kantone und Städte in der Schweiz haben zwischenzeitlich aber erkannt, dass es 5 vor 12 ist und die bislang praktizierte Verdrängungspolitik von Logistikstandorten aus der Stadt nicht fortgesetzt werden sollte.

Hauenstein: Wie wird die urbane Logistik in der Schweiz in 5 bis 7 Jahren aussehen? 

Schmid: Sie wird noch vernetzter, kooperativer und grüner als heute sein. Ich hoffe, die während des Corona-Lockdowns entwickelten Lösungsansätze geben uns weitere Impulse und Hinweise für eine intelligente urbane Logistik. Ich wünsche mir, dass die urbane Logistik noch stärker als gemeinsames Gestaltungsfeld von Wirtschaft und öffentlicher Hand anerkannt wird, dass neue Lösungen erprobt und umgesetzt werden.

 

Thomas Schmid ist Verkehrs- und Transportberater bei der Rapp Trans AG. Rapp Trans gehört international zu den führenden Beratungsfirmen auf dem Gebiet «Mobilität, Verkehr und Transport».

www.rapp.ch   www.swissconnect.ch

Foto: © Rapp Trans AG

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