Startseite RubrikenDigitalisierung DaziT – Zoll-Projekt in der Schweiz mit vielen Fragezeichen

DaziT – Zoll-Projekt in der Schweiz mit vielen Fragezeichen

von Loginfo24 Redaktion
Die Warenabfertigung beim Schweizer Zoll steht vor einem Umbruch. Die heutigen IT-Anwendungen stammen noch aus den 90er-Jahren und sollten längst abgelöst sein. Nun aber soll ein Ende in Sicht sein. Von 2023 bis 2025 soll das Warenverkehrssystem Passar im Rahmen des Programmes DaziT (Modernisierung und Digitalisierung der Eidg. Zollverwaltung), installiert werden. Karl Strohhammer, von der ZFEB GmbH – Customs & Trade Consultants, gibt einen Überblick von der Entwicklung bis zu den Perspektiven.

Von Karl Strohhammer

 

Vorgeschichte

Die zentralen IKT-Anwendungen des Zolls stammen aus den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Dazu gehören vor allem die elektronischen Abfertigungssysteme EDEC. Sie stehen damit in der letzten Phase ihres Lebenszyklus. Bereits in den Jahren 2010 bis 2015 gab die Verwaltung mehrere Studien in Auftrag. Es stellte sich jedoch bald heraus, dass sich anwendungsübergreifende Verbesserungen nicht oder nur zum Teil realisieren liessen. Erst die Ergebnisse der Studie «GAR-EZV – Geschäftsprinzipien, IT-Architektur und Roadmap» zeigten in die richtige Richtung. Mit ihrer gesamtheitlichen Sicht bildete diese Studie die Grundlage für die Botschaft des Bundesrates vom 15. Februar 2017 zur Finanzierung der Modernisierung und Digitalisierung der Eidgenössischen Zollverwaltung (Programm DaziT). «DaziT» steht dabei für «Dazi», das rätoromanische Wort für Zoll, und für «Transformation». Grosse Diskussionen gab es nicht. Am 12. September 2017 bewilligte die Bundesversammlung den beantragten Gesamtkredit von 393 Millionen Franken zur Realisierung dieses Vorhabens. Der offizielle Startschuss für die Umsetzung fiel dann im Januar 2018.

Der erste Pfeiler: Vereinfachung und Digitalisierung der Prozesse

In den ersten vier Jahren wurden rund 20 Apps, Anwendungen und IT-Basisdienste in Betrieb genommen. Diese betreffen sowohl Privatpersonen (z.B. QuickZoll für die Verzollungen im Reiseverkehr) als auch die Wirtschaft. So können neu Begleitdokumente elektronisch übermittelt werden. Zu erwähnen ist ferner, dass die Stammdaten neu in einer zentralen Plattform (SAP MDG) gepflegt werden. Karl Strohhammer von der Beratungsfirma

Warenverkehrssystem Passar

Es handelt sich um die Hauptanwendung und damit um das Herzstück von DaziT. Zurzeit laufen die Entwicklungsarbeiten auf vollen Touren. Mit Passar werden NCTS, e-dec (Ein- und Ausfuhr) und e-dec web abgelöst. Nach heutigem Stand ist die schrittweise Umsetzung wie folgt geplant:

  • Ab August 2022 werden die Funktionalitäten für Passar 1.0 (Ausfuhr, Durchfuhr) entwickelt.
  • Am 1. Juli 2023 beginnt die Transitionsphase für Passar 1.0.
  • Die Anmeldung mit NCTS ist bis am 30. Oktober 2023 möglich.
  • Am 30. Juni 2024 endet die Transitionsphase für e-dec-Ausfuhr.
  • Am 1. Januar 2025 startet die Transitionsphase für Passar 2.0 (Einfuhr; bis 30.6.2025).

Spätestens ab dem 1. Juli 2025 sollen somit alle bisherigen elektronischen Abfertigungssysteme für Handelswaren erneuert sein. Bis zum Projektabschluss 2026 sollen auch sämtliche Spezialfälle abgedeckt werden (z.B. Rückwaren, Freipässe usw.).

Der zweite Pfeiler: Organisatorische Weiterentwicklung

Das Programm DaziT wurde ursprünglich in erster Linie als IT-Projekt betrachtet. Es zeigte sich jedoch bald, dass neben der Vereinfachung und Digitalisierung ein weiteres Element an Bedeutung gewann: die organisatorische Weiterentwicklung. Gemäss einem Grundsatzentscheid des Bundesrates vom 10. April 2019 gehören dazu unter anderem:

  • Die sechs neuen Direktionsbereiche heissen Operationen, Risikoanalyse und Analytik, Grundlagen, Strafverfolgung, Unterstützung, sowie Planung und Steuerung. Der Direktionsbereich Operationen vereint die bisherigen Einheiten Zoll und Grenzwachtkorps und besteht aus sechs Regionen (Regionalebene) und 23 Lokaleinheiten (Lokalebene).
  • Das neue Berufsbild «Fachspezialist/‑in Zoll und Grenzsicherheit» vereint die bisherigen Berufe «Zollfachmann/‑frau» und «Grenzwächter/‑in». Die Fachspezialisten/-innen erhalten eine gemeinsame Basisausbildung für umfassende Kontrollen von Waren, Personen und Transportmitteln und spezialisieren sich anschliessend in mindestens einem dieser Bereiche. Der erste Lehrgang hat im August 2021 begonnen. Für das bestehende Personal werden ab 2022 gezielte Ausbildungsmassnahmen angeboten, vor allem im Bereich der Sicherheit. Das gesamte operative Personal ist uniformiert (mit Schutzwesten und militärischen Graden) und aufgabenbezogen bewaffnet.

Seit dem 1. Januar 2022 heisst die frühere Eidgenössische Zollverwaltung (EZV) neu Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG).

Einschätzung und Ausblick

Die Ziele von DaziT, vor allem die angestrebten Vereinfachungen und die Digitalisierung, sind eigentlich weitgehend unbestritten. Trotzdem wurde die EZV bzw. das BAZG in den letzten Jahren von verschiedenen Seiten teilweise heftig kritisiert (Finanzkontrolle, Gewerkschaften, Medien, Wirtschaftsverbände). Dazu kommen zahlreiche parlamentarische Anfragen und Vorstösse. Am meisten ins Gewicht fällt sicher der Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates vom 23. Mai 2022. Darin wird die Zweckmässigkeit gewisser Aspekte der Reorganisation als in politischer Hinsicht fragwürdig bezeichnet (Uniformierung, Bewaffnung, Namensänderung).

Bisher ist es dem BAZG und dem Bundesrat gelungen, die Kritik abzuschmettern bzw. auszusitzen. Erst in den kommenden Jahren wird sich zeigen, ob die neuen Zollprozesse wie versprochen einfacher sind als bisher. Auch die organisatorischen und personellen Massnahmen müssen sich noch bewähren und politisch akzeptiert werden. Es stellen sich die folgenden Fragen:

  • Können die Kosten für Wirtschaft und Verwaltung durch Vereinfachung und Digitalisierung tatsächlich wie angekündigt reduziert werden?
  • Der Vollzug der so genannten nichtzollrechtlichen Erlasse (NZE; neu nichtabgabenrechtliche Erlasse NAE) stellt eine der grossen Herausforderungen im grenzüberschreitenden Warenverkehr dar. Werden die Verbesserungen, wie sie der Bundesrat in seinem Bericht vom 13. September 2019 angekündigt hat, realisiert (Erfüllung des Postulates 17.3361)?
  • Es nützt nichts, wenn man mit einem Lastwagen am Schweizer Zoll dank der digitalen Abfertigung praktisch durchfahren kann, jedoch für Formalitäten bei den ausländischen Zollstellen trotzdem anhalten muss. Ist sichergestellt, dass auch die Verfahren an den ausländischen Grenzzollstellen gleichzeitig mit Passar digitalisiert sind? Kann die Europäische Kommission aus politischen Gründen etwas verhindern oder verzögern?
  • Das BAZG setzt sehr stark auf die Sicherheit und die Repression. Dies zeigt sich nicht zuletzt in der herausgehobenen Stellung des neuen Direktionsbereichs Strafverfolgung sowie in der Ausbildung, Uniformierung und Bewaffnung des operativ tätigen Personals. Es ist deshalb zu befürchten, dass die für die Wirtschaft wichtigen Kompetenzen und Dienstleistungen der bisherigen Zollfachleute schleichend an Bedeutung verlieren. Wie kann diese Entwicklung verhindert werden? 

Weitere Aspekte

Neues Zollrecht

Gemäss BAZG gehört die Totalrevision des Zollgesetzes zur Transformation. Es ist geplant, dass der Bundesrat nach den Sommerferien die Botschaft zur neuen Zollgesetzgebung verabschiedet. Das BAZG hat angekündigt, dass die Entwürfe einige von der Wirtschaft in der Vernehmlassung eingebrachte Anliegen berücksichtigen:

  • Die Warenbestimmungen sind wieder auf Stufe Gesetz definiert. Die Datenbearbeitung wurde ebenfalls vollständig gemäss neuen Datenschutzvorgaben überarbeitet.
  • Die Frist für Einsprachen und Beschwerden wird neu einheitlich auf ein Jahr festgelegt.
  • Die formale Strenge wird gelockert. Vergünstigungen können auch im Rahmen des Nachforderungsverfahrens geltend gemacht werden.
  • Es wird ein Konsultativgremium Zoll analog zur Mehrwertsteuer geschaffen.

Man darf darauf gespannt sein, wie das Parlament mit den Entwürfen des Bundesrates umgeht. Es bestehen nämlich grosse Zweifel, ob für DaziT wirklich eine Totalrevision der gesetzlichen Grundlagen notwendig ist.

Aufhebung der Industriezölle

Am 1. Oktober 2021 hat die Bundesversammlung eine Änderung des Zolltarifs beschlossen. Damit werden die Zölle für die Kapitel 25 bis 97 weitgehend aufgehoben. Zudem wird die Struktur mit dem Wegfall von rund 1800 Tariflinien vereinfacht. Die Änderung tritt am 1. Januar 2024 in Kraft. Wegen der fehlenden Koordination mit dem Zeitplan von DaziT (vor allem Passar) müssen Verwaltung und Wirtschaft für die Umsetzung mit einem höheren Aufwand rechnen.

 

Karl Strohhammer ist Zollrechtsexperte und Zollberater bei ZFEB GmbH – Customs & Trade Consultants. ER verfügt über einmaliges, fundiertes und breites Wissen im Bereich Zolltarif und Zollrecht. Karl Strohhammer arbeitete von 1974 bis 2018 bei der Zollverwaltung, davon seit 1983 in Bern als Zollexperte und Sektionschef der Oberzolldirektion.

Zu seinem anspruchsvollen Aufgabengebiet gehörten unter anderem, öffentliche Zolltarifentscheide, nichtzollrechtliche Erlasse und die Mitwirkung in Rechtssetzungsverfahren. Zu erwähnen ist auch die Ausbildungstätigkeit innerhalb und ausserhalb der Verwaltung.

Heute unterstützt er als Zollberater von Zollschule.ch international tätige Schweizer Unternehmen bei Zollrechtssfragen und Zollrechtsverfahren, bei der Zolltarifeinreihung oder bei Produkteabklärungen im Ausland. https://zollschule.ch/

Ähnliche Artikel

Kommentar hinterlassen