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Tobias Jerschke K+N im Gespräch mit dem DVF

von Loginfo24 Redaktion
Tobias Jerschke, Vorsitzender der Geschäftsleitung der deutschen Landesgesellschaft bei Kühne + Nagel (AG & Co.) KG, sagt im DVF-Interview, was er von einer steigenden und ausgeweiteten Lkw-Maut hält und warum er den Einsatz verschiedener Antriebstechnologien und Kraftstoffe beim Lkw für notwendig erachtet. Zudem nimmt Jerschke Stellung zur aktuellen Situation der Logistik.

(Berlin/Hamburg) Außerdem fragte das DVF (Deutsches Verkehrsforum) Jerschke, was er von der deutschen und europäischen Politik erwartet und wie er in die Zukunft sieht. Werden logistische Dienstleistungen teurer? Sind die Kunden bereit für Klimaschutzmaßnahmen zu zahlen? Was tun gegen den Fahrermangel? Diese und weitere spannende und aufschlussreiche Fragen und Antworten im Interview „DVFragtnach“.

Herr Jerschke, für die Logistikbranche sind die Geschäfte in den zurückliegenden Jahren ziemlich gut gelaufen. Trotzdem ist die aktuelle Stimmung eher gedämpft. Warum?

Das muss man etwas differenzieren. Die Top Carrier der Welt haben in den vergangenen zwei Jahren Rekordergebnisse gemacht. Auch Logistikkonzerne wie Kühne + Nagel haben gut verdient, aber wir hatten auch einen entsprechenden Aufwand. In der Seefracht beispielsweise, wo wir Marktführer sind, haben wir früher einen Vorgang auf der Sachbearbeiterebene vielleicht zwei Mal angefasst. In der Krise gab es dagegen viel mehr Arbeitsschritte, weil ständig neu disponiert werden musste.

Die Pandemie hatte Lieferketten massiv gestört.

Nicht nur deswegen. Dann kam der Ukraine-Krieg obendrauf. Der Suez-Kanal war blockiert.

Bleiben wir beim Thema Personal. Fast alle Wirtschaftszweige suchen händeringend Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Die Logistik natürlich auch. Wo ist in Ihrer Branche der Personalmangel am schärfsten spürbar?

Was sich über Jahre stark aufgebaut hat, das ist der Mangel an Lkw-Fahrern. Auch wenn uns das nur mittelbar betrifft, da wir nur zehn Prozent selbst transportieren. In den 90er und Anfang der 2000er Jahre wurde der Personalbedarf durch die ost- und südosteuropäischen Länder gelöst. Flotten wurden damals massiv in den Osten ausgeflaggt. Inzwischen finden diese Fahrer in ihren Ländern besser bezahlte Jobs. Und der Arbeitskräftebedarf ist dort seitdem massiv angestiegen.

Wie steuern Sie gegen?

Wir unterstützen unsere Partner, können unsere starke Marke Kühne + Nagel einbringen. Das hilft, ist aber nicht die Lösung. Wir hoffen in Zukunft auf mehr Technologieoffenheit. Zum Beispiel beim Lang-Lkw. Und es gilt, die Verkehre zu optimieren. Heute fahren die Lkw noch viel zu viel Kapazität durch Europa, die nicht optimiert ist.

Ladungsoptimierung ist eine Branchenaufgabe.

Absolut. Proaktive Planung mit digitaler Technik ist in der Theorie möglich, in der Praxis leider nicht immer machbar. Kühltransporte lassen sich nun mal nicht mit Schwertransporten kombinieren. Die Kleinteiligkeit in der europäischen Logistik hat einerseits den Wettbewerb zum Teil überhitzt. Andererseits die Optimierung verhindert.

Wird nach Ihrer Einschätzung das novellierte deutsche Einwanderungsgesetz für qualifizierte Kräfte helfen den Personalmangel zu beheben?Prinzipiell auf jeden Fall. Wir werden davon profitieren. Alles, was dafür sorgt, dass wir mehr Personal gewinnen, ist willkommen. Aber wir müssen darauf achten, dass wir nicht nur Spezialisten für die IT-Industrie gewinnen, sondern dass auch der spezifische Bedarf der Logistikbranche berücksichtigt wird.

Womit die Personallücken vermutlich noch nicht gefüllt sein dürften.

Nein, der Strukturwandel gerade der letzten Jahre beschleunigt durch Corona, das ist schon eine Herausforderung. Der treibt uns stärker in die Digitalisierung, weil wir dann mehr Volumen mit derselben Zahl an Mitarbeitenden bewältigen können. Das hat ja auch seine guten Seiten, weniger Papier, weniger Leerfahrten.

Ein nicht weniger heikles Thema für Ihre Industrie ist der Zustand der Infrastruktur. Ob zu Lande, zu Wasser oder in der Luft, Verkehrswege oder Umschlagplätze hat der Staat seit Jahren vernachlässigt. Wo sehen Sie die größten Engpässe?Ja, in gewissen Bereichen bröckelt das Powerhouse Deutschland etwas. Wir sollten aber aufpassen, nicht alles schlecht zu reden. Vor zwanzig Jahren saß ich in einem uralten D-Zug, heute in einem nagelneuen ICE, in dem auch das WLAN funktioniert.

Keine schwerwiegenden Defizite?

In den vergangenen Jahren ist viel passiert. Unsere Flughäfen sind nach wie vor Weltklasse. Die Bahn muss sicher in die Schienenwege investieren. Und auf der Straße sind marode Brücken natürlich ärgerlich. In fünf bis zehn Jahren ist das hoffentlich kein Thema mehr.

Sie sind da recht optimistisch.

Wir nehmen in Deutschland lieber eine Brücke raus, bevor etwas passiert. Es gibt so viele Katastrophen in der Welt. Denken Sie nur an Genua. Da bin ich einigermaßen zuversichtlich, dass uns sowas nicht passiert.

Zur Infrastruktur gehören auch Umschlagplätze für den intermodalen Verkehr. Seit Jahren ein Dauerbrenner der Verkehrspolitik. Es scheint nicht so recht voranzukommen.

Es muss auf jeden Fall sehr viel mehr werden. Die aktuelle Diskussion über einen möglichen Rückgang beim kombinierten Verkehr auf der Bahn halten wir für falsch. Natürlich wächst der Verkehr, aber es kann nicht sein, dass der Anteil der grünen Verkehrsträger zurückgeht. Allenfalls temporär wäre ein Rückgang vertretbar, etwa um große Investitionen zu realisieren.

Klimaschutz und Nachhaltigkeit rückten verstärkt in den Fokus. Der Staat setzt auf Lenkungsmaßnahmen, wie steigende und ausgeweitete Lkw-Maut oder CO2-Bepreisung. Sind das die richtigen und auch wirkungsvolle Maßnahmen?

Das sind Steuerungsinstrumente, die in die richtige Richtung weisen. Man kann sicher über die Wirkungsweise unterschiedlicher Meinung sein. Wenn der Diesel- oder Benzinpreis um zwei Cent pro Jahr steigt, dann dürfte das kaum ausreichend sein, um kurzfristig Wirkung zu erzielen. Der Staat sollte weniger saubere Verkehrsträger eher sanktionieren und grüne Verkehrsträger motivieren.

Zum Beispiel …… ist der Prozess zur Förderung von Elektro-Lkw zu langsam. Die Budgets sind zu klein. Wir könnten schon viel mehr E-Lkw auf der Straße haben. Und warum sind E-Lkw nur bis 2025 von der Maut befreit? Da haben wir sie ja gerade mal im Einsatz.

Gibt es Alternativen zur Elektromobilität?

Den grünen Kraftstoff HVO 100. Der wird entweder aus altem Speiseöl oder synthetisch hergestellt und erlaubt bis zu 90 Prozent CO2-Reduktion. Und, was diesen Kraftstoff zusätzlich attraktiv macht, der Preisaufschlag liegt derzeit bei nur 40 bis 50 Cent. Das ist deutlich weniger als bei anderen synthetischen Kraftstoffen, etwa Flugbenzin. Alle Euro-6-Trucks können EVO nutzen und Tests zeigen: auch die mit Euro-4-Motoren.

Nur in Deutschland ist die Landkarte noch weiß.

Sie können inzwischen überall in Europa HVO 100 tanken, damit auch durch Deutschland fahren, aber Sie können es nicht in Deutschland tanken. Anderswo wird längst dieser grüne Kraftstoff angeboten und wir überlegen uns immer noch, wie wir das machen wollen.

Gibt es denn genug HVO-100-Diesel?

Aktuell auf jeden Fall mehr als E-Fuels für Flugzeuge. Wenn die Nachfrage kommt, dann werden auch die Produktionskapazitäten hochgefahren. Aber wir müssen sicherstellen, dass wir in Europa synchronisiert vorgehen. Im Frühling 2024 sollte überall im Kernwirtschaftsgebiet der EU das HVO 100 verfügbar sein.

Was ist mit Wasserstoff als Energiequelle für Gütertransporte?Man muss einfach verschiedene Technologien bespielen. Wenn wir nur auf Elektro setzen würden, dann hätten wir die Netzkapazitäten vorerst gar nicht. Der Ausbau braucht Zeit. Und Ladestationen für Lkw haben Lieferzeiten bis zu einem Jahr. Deswegen in die Breite gehen. Langfristig, das ist klar, hat Wasserstoff das größte Potenzial.

In der Seeschifffahrt und im Luftverkehr wird die Umstellung wohl noch lange dauern?

Es wird länger dauern. Aber auch dort kommt über die Endverbraucher Druck auf, das ist gut so.

Haben Sie denn Kunden, die schon heute darauf drängen, Transportketten CO2-neutral aufzubauen?Die entscheidende Frage ist, was der Kunde bereit ist dafür zu zahlen. Festzustellen ist, die Zahl der Kunden, die proaktiv nachfragen, steigt. Ein Beispiel. Wir arbeiten mit einem Kunden, der E-Bikes herstellt, zusammen. Der Geschäftsführer sagt mir, er wünsche, dass wir ihm alles noch breiter und schneller grün anbieten. Der Kunde ist sogar bereit, mir den Elektro-Lkw komplett zu zahlen. Diesen Lkw will ich im Co-Branding vor Jahresende einweihen. Das finde ich einfach toll. Ein erfolgreicher Mittelständler, ein grünes Produkt und für uns ein Vorzeigeprojekt bei anderen Unternehmen. Am Ende wird Klimaneutralität in der Logistik dadurch kommen, dass der Wettbewerbsdruck sie erzwingt.

Logistik, so viel ist dann aber wohl sicher, wird nicht preiswerter?

Was die Kosten für Umwelt angeht, sicher nicht. Aber wir haben eben auch gegenläufige Trends, die uns helfen. Digitalisierung wird unsere Produktivität erhöhen. Deshalb wäre ich insgesamt gar nicht so pessimistisch.

Versorgungssicherheit ist spätestens seit der Pandemie ein ganz großes Thema. Erst fehlte es an Gütern wegen der Lockdowns, dann unterbrachen eine einzige Schiffshavarie und der Ukraine-Krieg eingespielte Transportwege. Dazu kommen jetzt wachsende politische Konflikte. Was heißt das für Ihre Branche?Solche Disruptionen haben uns schon immer begleitet. Aber die Zahl der Auslöser für Störungen wird zweifellos zunehmen. Als multimodaler Anbieter ist Kühne + Nagel da immer besser aufgestellt als ein spezialisiertes Unternehmen. Wenn ein Containerschiff irgendwo auf der Welt nicht weiterkommt, haben wir immer die Möglichkeit auf Luft- oder Landtransport umzustellen.

Die teilweise weit reichenden Folgen solcher Störungen werden auch Sie damit nicht abwenden können.

Das ist richtig. Querliegende Schiffe im Suezkanal können wir nicht vorhersehen. Aber die Kunden gehen das Thema Versorgungssicherheit an. Prominentes Beispiel dafür ist Apple. Das Unternehmen hat nicht aus Zufall eine riesige IPhone-Fabrik in Indien in Betrieb genommen. Da hat ein Umdenken eingesetzt, um Abhängigkeiten zu verringern. Oder bei einem unserer Kunden. Der Hersteller von Klimaanlagen produzierte bislang eine kritische Komponente nur in China und hat jetzt ein komplett neues Werk in Tschechien gebaut. Das Werk in China soll geschlossen werden.

Logistik folgt Industrie.

Wir als Logistiker reagieren zwar auf Entscheidungen der Kunden. Aber oft ist auch die Logistik ein entscheidender Faktor bei der Standortwahl. Warum investiert die Chipindustrie in Sachsen und Sachsen-Anhalt? Sicher, sie bekommt Subventionen. Aber sie findet gutes Personal vor und eine funktionierende Logistik.

Foto: © Kühne+Nagel / Bildlegende: Tobias Jerschke, Vorsitzender der Geschäftsleitung der deutschen Landesgesellschaft bei Kühne + Nagel (AG & Co.) KG

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