Startseite WasserContainer Wie nachhaltig ist der momentane Boom in der Seefracht?

Wie nachhaltig ist der momentane Boom in der Seefracht?

von Andreas Müller

Die Lieferketten sind derzeit stark belastet und damit auch die Seefracht. Vor allem auf den Strecken Fernost - Europa und Fernost - USA. Die Preise für einen 40' Container haben sich seit Februar 2020 beinahe verfünffacht. Aber wann und wo soll das enden und was sind die Ursachen? Loginfo24 unterhielt sich mit Ruben Huber, Seefracht-Kenner und Gründer des Seefracht-Netzwerkes OceanX.

(Basel) Momentan erhitzen die Lieferketten in den Ranges Fernost-Europa und Fernost-USA. Die Folge sind komplett ausgelastete Containerschiffe, Mangel an Containern und in Richtung Europa auch ausgebuchte Containerzüge. Obwohl neue Verbindungen momentan, wie Pilze aus dem Boden schiessen. Angefeuert wird in diesen Relationen dadurch auch die Luftfracht, die oft den letzten Ausweg aus dem Dilemma darstellt, um wenigstens die nötigsten Lieferungen auf den Weg zu bringen. Doch was sind die Ursachen und wie lange hält dieser Run an?

 Als im Januar und Februar 2020 in China die Produktion teilweise stillstand, brachte dies die Lieferketten an den Rand eines Kollapses. Bedingt durch die Corona-Pandemie hatte China rigorose Massnahmen ergriffen und alles stillgelegt. Abgefedert wurde dies durch die Tatsache, dass das chinesische Neujahr in diese Periode fiel, also ein Zeitabschnitt, wo man sich darauf einstellt, dass in China nicht viel läuft.

Es galt also einen Monat Stillstand aufzuholen. Kaum wurden in China die Produktion und die Transporte wieder angeschoben, wurde Europa von der Corona-Welle erfasst und hier lag alles still. Geschlossene Werke verhinderten die Auslieferung, der nun in Europa eingetroffenen Seefrachtladungen und es entstand in den Häfen ein erheblicher Container-Stau. Erstaunlicherweise beruhigte sich die Situation relativ schnell wieder und Europas Häfen konnten den Stau abbauen. Parallel dazu wurden Hilfsgüter für die Pandemie, wie Masken, Schutzanzüge und Beatmungsgeräte mit jedem freien Flieger verladen, der aufzutreiben war. Kurzfristig wurden sogar Passagierflugzeuge zu Frachtern umgerüstet.

Erster Lockdown beendet – Run auf Konsumgüter

Was aber immer noch anhielt war der Andrang auf die Containerschiffe in Fernost, vornehmlich auf die chinesischen Häfen. Die ersten Mitarbeiter sassen im Home-Office und da startete ein Ansturm im Web auf Artikel, wie sämtliche Elektronik, vom Laptop zum Tablet, vom Kopfhörer zum Mikrophon. Aber auch Artikel, wie Bürostühle, etc. und bequeme Heimkleidung waren stark nachgefragt.

Dazu Ruben Huber, Gründer des Seefrachtnetzwerkes OceanX und Seefrachtexperte: „Als im Mai 2020 die ersten europäischen Länder den Lockdown beendeten, begann ein Run auf Konsumgüter. Das Reisen war eingeschränkt, Konsum von Unterhaltung und Gastronomie, war ebenfalls nur begrenzt möglich, wenn nicht gar unmöglich und so stürzten sich die Menschen auf Konsumgüter aller Art. Viele kauften sich neue Möbel, Heimdekoration, Küchengeräte, oder technische Spielzeuge als Ersatz.»

Konsumgüter, Online und Stationär, waren besonders gefragt (Foto: Loginfo24/Adobe Stock)

Keine Beruhigung im weiteren Jahresverlauf 2020

Dies alles hatte zur Folge, dass der Boom der Containerfrachten anhielt, ja sogar noch zunahm. Zum Mangel an freien Plätzen auf den Containerschiffen und auf den Zügen in Richtung Europa kam die Verknappung an Containern dazu. Waren die Preise vor der Pandemie auf der Strecke China – Europa noch bei rund 1’500-2’000 USD für einen 40′ Container, so stehen sie heute bei rund 10’000 USD, im kurzfristigen Spotmarkt sogar doppelt so hoch.

Auswirkungen auf das Forderungsmanagement

Huber weiter: „Dies hat auch gravierende Auswirkungen auf das Forderungsmanagement. Hatte zum Beispiel ein Kunde bis 2019 bei 5 Containern im Monat Aussenstände von rund 10’000-15,000 USD, so sind das heute leicht 100,000 bis 150,000 USD. Für die Reedereien ist die Situation einfacher, da Ihre Kosten per Container sich kaum verändert haben, also lediglich die Profite gestiegen sind. Für Spediteure und Logistikdienstleister hingegen haben sich Einkauf und Verkauf und damit Risiken erhöht.“ Aktuell hat dieses erhöhte Risiko noch kaum Auswirkungen, aber sollte sich die Nachfrage spontan ändern oder einige Importeure die Dauer der hohen Raten unterschätzt haben, könnte das schnell anders aussehen.

Ab November verhängten dann immer mehr Staaten in Europa einen erneuten Lockdown. Über die Festtage war überall, bis auf die Lebensmittelgeschäfte, alles geschlossen. In Ländern wie Deutschland hielt dieser Zustand bis ins späte Frühjahr 2021 hinein an. Die See- und Bahnfracht von China nach Europa und die Seefracht nach USA erfreuten sich dennoch nach wie vor über eine extreme Nachfrage.

EVER GIVEN und Yantian – Ein Unglück kommt selten allein

Mitten hinein in die schon verzwickte Lage kam noch dazu, dass das Containerschiff „EVER GIVEN“ am 23. März im Suez-Kanal stecken blieb. Eine gute Woche lang blockierte der Riesenfrachter den Kanal und damit rund weitere 500 Schiffe an der Weiterfahrt. Während sich der Stau rund um den Suez-Kanal wieder auflöste, wurde die „EVER GIVEN“ von den ägyptischen Kanalbehörden festgehalten, um Schadensforderungen abzuklären und zu sichern. Erst am 29. Juli, als mit rund vier Monaten Verspätung traf der Frachter im Hafen Rotterdam ein.

MS EVER GIVEN steckt im Suez-Kanal fest (Foto: Loginfo24/Adobe Stock)

Dieses Ereignis belastete die Lieferketten erneut. Sämtliche sowieso schon eng getakteten Fahrpläne von vielen Containerschiffen gerieten durcheinander. Vor den Häfen in Europa warteten die Schiffe tagelang bis zum Entlad.

Als wäre das nicht genug, gab es im chinesischen Hafen Yantian Anfang Juli 2021 eine kurzzeitige Sperrung. Ein paar Arbeiter wiesen positive Corona-Tests aus und dies war der Anlass, den Hafen dichtzumachen. Laut diversen Experten war dies noch der grössere Schock für die Lieferketten als der Unfall der EVER GIVEN. Als der viertgrösste Hafen der Welt machen sich Ausfälle in Yantian sehr schnell bemerkbar. Zwar wurde die Sperre relativ schnell wieder aufgehoben, aber schon eine Woche ist momentan eine enorm lange Zeit und die Rückstände werden angestaut.

Lieferanten, die auf das Weihnachtsgeschäft fokussiert sind, tun gut daran sich jetzt rechtzeitig einzudecken. Ansonsten könnte es sein, dass die Ware unter dem Weihnachtsbaum fehlt.

Der Hafen Yantian war eine knappe Woche komplett gesperrt (Foto: Loginfo24/Adobe Stock)

Ausfall eines Terminals auch in Ningbo

Dieser Tage erreichte eine weitere Hiobsbotschaft die Nutzer der Lieferketten. Zunächst hiess es, der Hafen Ningbo (drittgrösster Hafen der Welt) hätte ebenfalls zugemacht. Allerdings kam dann kurz darauf die Relativierung: „Die seit dem 11. August coronabedingte Schließung der ostchinesischen Hafengruppe Ningbo Zhoushan betrifft derzeit nur den Meishan Port. Alle anderen 18 Häfen des Verbundes arbeiten bisher normal weiter“, informierte Riccardo Kurto, China-Beauftragter des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) vergangenen Donnerstag. Das sei der große Unterschied im Vergleich zur kompletten Schließung des Einzelhafens Yantian, der in den vergangenen Wochen für Schlagzeilen sorgte. Kurto stützte sich bei seinen Angaben auf Recherchen des lokalen BME-Büros in Shanghai und des chinesischen BME-Netzwerkpartners „Sino-European Procurement Platform“ (SEPP).

Auch im Hafen Ningbo ist zur Zeit ein Terminal gesperrt (Foto: Loginfo24/Adobe Stock)

Auch wenn es sich nur um einen Teilbereich des Hafens handelt, bei der derzeit sensiblen Lage der Supply Chain verträgt es auch das nur bedingt. Dazu passt auch der Lokführerstreik der Gewerkschaft GDL in Deutschland, bei dem auch mehrere hundert Güterzüge zwei Tage stehen geblieben sind.

Wie geht es in der Seefracht weiter?

Ruben Huber: „Die komplett veränderte Lage führt dazu, dass vieles hinterfragt werden muss. Zum Beispiel, ob Allianzen von Reedereien, vor allem bei den grossen Playern, noch Sinn machen. Spart man dabei in schlechten Zeiten gemeinsam Kosten ein und kontrolliert die Verfügbarkeit von Schiffsraum bei, so wäre dies momentan zu vernachlässigen und jeder Reeder hätte gerne mehr Flexibilität. Zudem wurden diese Allianzen in vielen Märkten von Monopolregelungen ausgenommen, um den Reedern in den vergangenen, eher unprofitablen Jahren, zu helfen, etwas das Regulatoren in Europa, USA und China bei den aktuellen Rekordraten und lauter werdenden Beschwerden der Verlader sicherlich zu überdenken beginnen.“

Viel Bewegung ist auch im Bereich von M&A zu beobachten. „Firmen im Logistikbereich, die vor der Pandemie einen Käufer suchten, fanden trotz intensiven Bemühungen und tiefen Preisen oft nur schwer Interessenten. Jetzt sind diese Firmen zum Teil das dreifache Wert und hoch begehrt, da die Logistik weit mehr Aufmerksamkeit erfährt“, führt Huber weiter aus.

Zurzeit ordern die grossen Reedereien neue Schiffe der Max-Klasse und kaufen tausende von Containern. Dies birgt aber die Gefahr, dass in schlechteren Zeiten die Überkapazitäten noch grösser sind als vor der Krise, was zwangsläufig auch wieder einen Preiszerfall nach sich zieht.

Viele kleinere Dienstleister oder Reedereien zeigen sich flexibel und ziehen Schiffe von weniger gefragten Routen ab oder rüsten andere Frachtschiffe kurzfristig zu Containerschiffen um. Die Alternative via Bahn auf der neuen Seidenstrasse wird sich in „normalen“ Zeiten ebenfalls wieder abkühlen. Wenn auf den Schiffen wieder genug Platz ist, dann sind die Tarife für die Alternative per Bahn nur noch für hochwertige Güter interessant.

Fazit

Der jetzige Boom aus Fernost sieht verdächtig nach einer Situation aus, wie: „Tagesgeschäft trifft auf Rückstau und eine künstlich erhöhte Nachfrage nach Gütern“. Oder ist es wirklich ein absolutes Hoch? Aber ist das Mitten in einer Pandemie, mit diesen nach wie vor grossen Unsicherheiten, überhaupt möglich? Wie schnell kehrt wieder die Normalität ein?

„Nach wie vor ist viel Geld auf dem Markt, was z. B. M&A angeht und die Konsumenten sind mit Ferien aufgrund begrenzter Optionen und im Ausgehverhalten immer noch zurückhaltend. Und „angespartes Konsumvermögen“ aus der Pandemie sicher noch nicht aufgebraucht.  Aber irgendwann ist die Hauselektronik auf dem neusten Stand und die erst angeschafften Möbel halten auch noch eine Weile, d.h. viele Anschaffungen sind sicherlich nur vorgezogen. Was kommt dann?“, macht sich Huber Gedanken über die nähere Zukunft.

Es würde also nicht überraschen, wenn ab Mitte 2022 Ernüchterung einkehrt. Hoffentlich ist dies dann kein „Pandemiekater“ sondern lediglich eine Rückkehr zur Normalität!

Eines jedenfalls haben die Schwankungen in der Supply Chain, laut Huber bereits klar aufgezeigt. Die Infrastruktur der  Terminals und im Hinterland kommen an ihre Grenzen, welche vor allem in Nordamerika das grössere Problem darstellen als die Nachfrage.

 

Ruben Huber absolvierte eine Ausbildung zum Speditionskaufmann in Deutschland und verfügt über einen deutschen Abschluss in Betriebswirtschaft und einen MBA der Aston University. Er hatte verschiedene Management-und Führungspositionen in Reedereien, NVOCCs und intermodalen Operateuren in Europa, China und dem Nahen Osten inne.

Heute berät er Unternehmen zu den Themen Strategie, Digitalisierung, Internationalisierung und Logistik. Und ist Leiter des internationalen Netzwerkes für Seefrachtspediteure und NVOCCs, OceanX. https://oceanx.network

Titelfoto: © Loginfo24/Adobe Stock

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