Startseite RubrikenExpertenrunde Seeschifffahrt – Ein „must“ für die Schweiz!

Die Schweizer Wirtschaft ist massgeblich vom internationalen Warenverkehr auf dem Seeweg abhängig. Die See scheint für die meisten Schweizer in weiter Ferne zu sein – doch die Schifffahrt und dessen Transportkapazität ist für die Schweizer Eidgenossenschaft elementar. Die Logistics Advisory Experts GmbH (LAE), ein Spin-Off der Universität St.Gallen fand mit einem Team unter Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Stölzle heraus, dass mehr als 90% der importierten und exportierten Güter des Schweizer Aussenhandels international per Seeschiff transportiert werden.

(Arbon) – Die Seeschifffahrt spielt in den offiziellen Statistiken der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV) keine Rolle – Seeschiffe werden nicht als Verkehrsträger für den Im- und Export von Waren in und aus der Schweiz registriert. Trotzdem kann auf die Transportleistung im internationalen Handel nicht verzichtet werden. Die Studie „Switzerland’s dependency on maritime transportation“ im Auftrag der Swiss Shipowner Association (SSA) fand heraus, dass ca. 92% des gesamten aussereuropäischen Exportvolumens gemessen in Tonnen per Seeschiff in die weite Welt transportiert wird. Im Import werden sogar 94% der Güter per Seeschiff über die Weltmeere transportiert, um später per Binnenschiff, Lastkraftwagen oder über die Schiene die Grenze in die Schweiz zu queren (siehe Abbildung 1). Trotz des fehlenden Seezugangs ist der Gütertransport per Hochseeschiff somit für die Schweiz nicht wegzudenken.

Abbildung 1: Beitrag der Hochseeschifffahrt zum interkontinentalen Import und Export der Schweiz

Seeschifffahrt oft alternativlos

Im Interkontinentalhandel wie auch für innereuropäische Transportketten sind Seeschiffe oft alternativlos. Durch genormte Standardcontainer hat sich der Transport zwischen den Staaten in den letzten 50 Jahren sehr dynamisch entwickelt. Besonders aufgrund der enormen Transportkapazität und der damit einhergehenden Kosteneffizienz kann die Luftfracht im internationalen Warenverkehr nur im Ausnahmefall mit der Hochseeschifffahrt mithalten. Lediglich bei sehr hochwertigen, zeitkritischen oder verderblichen Gütern wird im internationalen Warenverkehr das Flugzeug gewählt. Die wesentlichen Volumina, also flüssige und trockene Brennstoffe oder auch Maschinenteile, Fahrzeuge und andere Güter werden seit jeher per Containerschiff, Massengutfrachter (Bulker und Tanker) oder Roll-On-Roll-Off-Schiff (RoRo) zwischen den internationalen Seehäfen transportiert.

Ohne Seeschifffahrt geht es nicht

Die aktuelle LAE-Studie kommt zum Schluss, dass im internationalen Handel, d.h. zwischen der Schweiz und aussereuropäischen Ländern, zwischen 90% und 95% der Einfuhren und Ausfuhren zumindest teilweise per Seeschiff transportiert werden (siehe Abbildung 1). Betrachtet man die gesamte Prozesskette der importierten und exportierten Güter, kann von einer noch stärkeren Abhängigkeit der Importe und Exporte von der Hochseeschifffahrt ausgegangen werden. Begutachtet man Importe von Fahrzeugen aus dem europäischen Ausland, beispielsweise Fahrzeuge aus Frankreich oder Deutschland, so wird die Abhängigkeit von der Hochseeschifffahrt offensichtlich. Aufgrund der Vielzahl von Akteuren, Handelspartnern und Produktionsschritten sind die Prozessketten nicht nur für die Endkunden intransparent und somit schwer nachvollziehbar (siehe Abbildung 2). Die Darstellung möglicher Zulieferer-Netzwerke in der Automobilindustrie ist somit nur eines von vielen anschaulichen Beispielen.

Abbildung 2: Komplexität der globalen Lieferketten – Beispiel Automobilindustrie

Nordseehäfen und Rheinanbindung weiterhin massgeblich für den Aussenhandel

Trotz der räumlichen Nähe zum Mittelmeer wird noch immer ein Grossteil der für die Schweiz relevanten Handelsströme über die Nordseehäfen abgewickelt. Neben dem Hamburger Hafen sind besonders die Häfen der ARA-Range (Amsterdam, Rotterdam, Antwerpen) von besonderer Bedeutung für die Schweiz. Besonders Rotterdam mit der direkten Binnenschiffanbindung per Rhein nach Basel gilt als wichtiger Umschlagshafen für den Transport von flüssigen und trockenen Massengütern wie zum Beispiel raffiniertem Öl, Getreide oder Baustoffe. Im Containerverkehr zeichnet sich ein weiteres Wachstum, vor allem über die europäischen Nordseehäfen, ab. Umschlagskapazitäten in den Schweizer Rheinhafen sind somit eine wichtige Komponente für den multimodalen Verkehr in, aus und durch die Schweiz.

Seidenstrasse bleibt eine Nische

Abbildung 3: Symbolische Verladung der Container auf die Schiene

Die neue Seidenstrasse, bestehend aus Hochseehäfen, Umschlagsbahnhöfen und zigtausenden Kilometern Schiene aus China in die Welt, wird immer wieder als ernstzunehmende Konkurrenz für die internationale Seeschifffahrt bezeichnet. Im vergangenen Jahr konnte die Transportmenge um 500.000 TEU gesteigert werden. Für 2021 wird ein Wachstum von 20 % erwartet. Mittelfristig sollen trotzdem jedoch „nur“ 1 Million 20-Fuss-Standard Container transportiert werden. Im Gegensatz zum aktuellen Gesamtumschlag von 46 Millionen Containern in den europäischen Nordseehäfen ist die transportierte Containermenge auf der neuen Seidenstrasse damit verschwindend gering. Besonders eindrücklich wird der Vergleich, wenn man sich vorstellt, dass alle knapp 24.000 20-Fuß-Container (TEU) der vollbeladenen MSC Gülsün auf die Schiene verladen eine Zuglänge von ca. 340 km ergeben würden (siehe Abbildung 3). Auch fehlen heute noch weitergehend Umschlagskapazitäten zwischen Mitteleuropa und Asien. Fehlende Transportkapazitäten sowie die nachteiligen infrastrukturellen Rahmenbedingungen behindern also vorerst eine erfolgreiche Verlagerung von Transportkapazität auf die Seidenstraße.

Weniger Massengüter – Mehr Container?

Die Richtung ist eindeutig – der Gütertransport wird sich weiter auf das Containerschiff verlagern. Das Schiffsgrössenwachstum und die damit verbundenen Skalenvorteile für dessen Betrieb sorgen bei gleichbleibender Nachfrage für sinkende Transportkosten pro Container. Auch zeichnet sich eine ungewöhnliche Entwicklung bei flüssigen ebenso wie trockenen Massengütern ab: Auch diese werden mehr denn je per Container transportiert. Laut Expertenmeinung eine logische Konsequenz, denn der Container erfordert keine besondere Be- und Entladeinfrastruktur – auch auf ladungsspezifische Lagerflächen kann verzichtet werden (siehe Abbildung 4). Erwartbar ist zudem eine sinkende Nachfrage nach flüssigen und festen fossilen Brennstoffen. Bei Getreide, Futtermitteln oder Baustoffen sind keine nachhaltigen Verschiebungen zu erwarten. Lediglich kurzfristig könnten sich leichte Veränderungen aufgrund regionaler Ausfuhrbeschränkungen bei den Transportmengen per Seeschiff ergeben. Die Russische Föderation hat zur Sicherung der Versorgung der eigenen Gesellschaft erst kürzlich die Ausfuhrmengen für Getreide reduziert. Die Schweiz muss demzufolge aus Übersee importieren – per Seeschiff!

Abbildung 4: Beitrag der Hochseeschifffahrt zum interkontinentalen Import und Export der Schweiz, Warengruppen und Schiffstypen

Hinterlandanbindung im Fokus

Für die Nutzung der Mittelmeerhäfen durch die Schweizer Eidgenossenschaft ist vor allem eine verlässliche Anbindung mit ausreichender Kapazität von Nöten. Trotz zahlreicher Infrastrukturprojekte innerhalb der Schweiz wie der NEAT bedarf es derzeit noch der Hebung beachtlicher Potenziale durch die Entwicklung intermodaler Kapazitäten, besonders in Italien. Aber auch innerhalb der Schweiz sind geeignete Infrastrukturen künftig von eminenter Bedeutung. Zu nennen ist unter anderem das Terminal Basel Gateway Nord, welches die intermodalen Umschlagskapazitäten deutlich erhöht und so Mehrwert für die gesamte Region stiftet.

Logistics Advisory Experts

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© Leon Zacharias

Leon Zacharias

ist gelernter Schifffahrtskaufmann und Masterand an der Universität St. Gallen. Als Projektmitarbeiter arbeitet er am Institut für Supply Chain Management (ISCM-HSG) und bei Logistics Advisory Experts GmbH.

 

Leon.zacharias@logistics-advisory-experts.ch
www.logistics-advisory-experts.ch

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Ludwig Häberle

ist als Projektmanager bei der Logistics Advisory Experts GmbH tätig und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Institut für Supply Chain Management der Universität St.Gallen.

 

Ludwig.haeberle@logistics-advisory-experts.ch
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