In traditionellen Logistikkonzepten der 90er Jahre waren Bestände einer der wichtigsten Optimierungshebel, dies in enger Verbindung mit Bestrebungen zur Verbesserung des Lieferservice. Besonders bei stark schwankenden und schlecht prognostizierbaren Nachfrageverläufen wurden Bestände zur Absicherung kurzer Lieferzeiten zu den Kunden gezielt aufgebaut. In der zweiten Auflage des Buches „Management von Beständen in Supply Chains“ vertiefen die Autoren* dieses Thema, welches aktueller ist, denn je.
(Zürich) Der danach folgende Trend zu schlanken Anlieferkonzepten wie Just-in-Time, Just-in-Sequence oder Warehouse-on-Wheels („Lager auf Rädern“) liess Bestände in einem anderen Licht erscheinen – es galt vielerorts das Paradigma einer bestandsarmen bzw. -losen Belieferung von Industrie und Handel. Dies lieferte vielen Branchen den Anlass, Projekte zum Bestandsabbau zu initiieren.
Solche gegensätzlichen Bewegungen – in knappen Worten skizziert – zeigen bereits das Spannungsfeld rund um Bestände auf: sind sie Fluch oder Segen? Das illustrative Auf und Ab folgte just in jüngerer Zeit wieder: Im Lichte abgerissener Lieferketten zur Zeit der Corona-Krise und danach gab es schnell laute Stimmen, die einen Bestandsaufbau zur Absicherung der Versorgung der Kunden verlangten. Mit einigem Zeitverzug setzte dann der bereits lange bekannte Bullwhip-Effekt ein: die verzögert eintreffenden Liefermengen waren viel zu hoch, die Lager liefen voll, die Märkte konnten oftmals das Angebot nicht mehr aufnehmen. Bestände – Fluch oder Segen?
Klassische Logistikkonzepte werden abgelöst
Fragen rund um Bestände scheinen offenbar ein Dauerbrenner zu sein. Mit der Erweiterung der klassisch logistischen Perspektive hin zu Wertschöpfungsnetzwerken – sogenannten Supply Chains – verschiebt sich der Blick auf die Zusammenarbeit mehrerer rechtlich und wirtschaftlich selbständiger Unternehmen bei Beschaffung, Produktion und Distribution. Die klassischen, auf Einzelunternehmen bezogenen Logistikkonzepte werden im Lichte der Globalisierung und der steigenden Arbeitsteilung von unternehmensübergreifenden, stark prozessorientierten Supply Chain-Lösungen abgelöst.
Aktuell stellen sich beim Management von Beständen in Wertschöpfungsnetzwerken viele Fragen neu: Wie können unternehmensübergreifend Bestände optimiert werden? Welche Akteure profitieren von einer solchen Optimierung? Wer ist für Bestände verantwortlich und wie verändert sich die Rolle der traditionellen Bestandsmanager? Wer übernimmt die Kosten für die Bestände sowie die Investitionen, die für bestandsoptimierte Supply Chain-Lösungen nötig sind? Und mit Bezug auf die Lieferketten-Abrisse: wie kann es gelingen, Wertschöpfungsnetzwerke resilient zu gestalten, ohne an allen Orten massiv Bestände aufzubauen?
Bestandsmanagement neu denken ist überfällig
Es ist also längst überfällig, Bestandsmanagement zumindest in Teilen neu zu denken. Hierbei unterstützt ein jüngst im Versus Verlag erschienener Sammelband, der sowohl akademische als auch praktische Zugänge zum Management von Beständen in Supply Chains enthält. Dazu zählen beispielsweise die Handlungsfelder und Methoden, praktikable Optimierungsmodelle ergänzt um gelebte Konzepte und Fallbeispiele sowie Entwicklungstrends, bei denen auch die Störanfälligkeit von Wertschöpfungsnetzwerken im Lichte von Beständen aufgegriffen wird.
*Literaturhinweis: Stölzle, Wolfgang / Hofmann, Erik / Selensky, Stefan / Germann, Tim (Hrsg.): Management von Beständen in Supply Chains. 2., vollständig überarbeitete und stark erweiterte Auflage. Versus Verlag. Zürich 2024. Hier gehts zur Bestellung
Foto/Cover: © Versus Verlag