Deutschlands Hersteller sind schwächer ins zweite Quartal gestartet. Der Krieg in der Ukraine und die Lockdowns in China drückten im April die Nachfrage und störten die Lieferketten. Aufgrund des Rückgangs der Neuaufträge sowie der weitverbreiteten Lieferverzögerungen schrumpften zudem die Produktionsraten. Deshalb sank der saisonbereinigte S&P Global/BME-Einkaufsmanager-Index (EMI) mit 54,6 Punkten im April auf ein 20-Monatstief nach 56,9 im März.
(London/Eschborn) „Der EMI hat im April weiter Federn lassen müssen“, betonte Gundula Ullah, Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME), am Donnerstag in Eschborn. Das gelte vor allem für den Teilindex Produktion, der erstmals seit Einführung der Corona-Restriktionen in der ersten Jahreshälfte 2020 wieder ins Minus abrutschte. Eine mögliche Erholung im Verarbeitenden Gewerbe der größten Volkswirtschaft Europas dürfte nach Frau Ullahs Einschätzung maßgeblich davon abhängen, ob und wie schnell der Ukraine-Krieg beendet werden könne. Auch die Corona-Krise sei noch längst nicht ausgestanden, wie die anhaltenden Lockdowns in China und die damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die globalen Lieferketten zeigten.
„Stagflation ist das aktuelle Thema“, kommentierte Dr. Gertrud R. Traud, Chefvolkswirtin der Helaba Landesbank Hessen-Thüringen, am Donnerstag auf BME-Anfrage die aktuellen EMI-Daten. Offen sei nur noch die Frage in welchem Ausmaß die Inflation steigen und wie schwach das Wachstum sein werde. Dies hänge von zwei Faktoren ab: „Gibt es über die aktuellen Sanktionen hinaus auch noch ein Energieembargo und wann kommt es? In unserem Basisszenario gehen wir immerhin noch von einem Wachstum des deutschen Bruttoinlandsproduktes um 2,2 Prozent und einer Inflationsrate von sechs Prozent aus. Sollte es jedoch in wenigen Wochen zu einem umfassenden Lieferverbot von Öl und Gas kommen, würde unser Negativszenario mit einer Inflationsrate von mindestens zehn Prozent und einem deutlichen BIP-Rückgang in Kraft treten“, fügte die Helaba-Bankdirektorin in ihrem Statement für den BME hinzu.
Ukrainekrieg und Lockdowns in China
„Selbst mit den gegenwärtig aufgerufenen Sanktionen kann die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr etwas wachsen. Allerdings steht und fällt der Konjunkturausblick mit den sehr unsicheren geopolitischen Rahmenbedingungen“, sagte Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank, am Donnerstag dem BME.
„Der Krieg in der Ukraine und die harten Lockdowns in China setzen der deutschen Wirtschaft zu. Lieferengpässe, Preissteigerungen aber auch die Sorge um sichere Energieversorgung lassen nicht nur die Geschäftserwartungen der deutschen Unternehmen einbrechen, sondern belasten die Weltkonjunktur insgesamt. Das sind trübe Aussichten, besonders für die exportorientierte Industrie“, teilte DIHK-Konjunkturexperte Dr. Jupp Zenzen am Donnerstag dem BME mit.
Zur jüngsten Entwicklung des EMI-Teilindex Einkaufspreise gab Dr. Heinz-Jürgen Büchner, Managing Director Industrials, Automotive & Services der IKB Deutsche Industriebank AG, am Donnerstag dem BME folgende Einschätzung: „Die knappe Marktversorgung bei den meisten Rohstoffen hält an. Auch im April kam es teilweise noch zu leichten Preisanstiegen; insgesamt gesehen war aber eher eine Seitwärtsbewegung zu verzeichnen. Bei etlichen börsennotierten Metallen waren in der zweiten Monatshälfte aufgrund von Rezessionssorgen nachgebende Preise zu beobachten. Ein Erdölembargo gegenüber Russland scheint mittlerweile eher zu verkraften sein, ein Erdgaslieferstopp hätte aber unverändert gravierende Folgen für die deutsche Industrie. Wir sehen insgesamt die Preise in den nächsten drei Monaten auf unverändert hohem Niveau. Bei Grobblech könnten sie sogar weiter anziehen: Zur Produktionseinstellung bei thyssenkrupp 2021 kommen nun ausbleibende Lieferungen aus der Ukraine und Russland, so dass dem Markt rund 30 Prozent des Volumens fehlen. Dies dürfte den Bau von Windtürmen – die überwiegend aus Grobblechen bestehen – erheblich verteuern. Kein gutes Zeichen für die Energiewende.“
Die Entwicklung der EMI-Teilindizes im Überblick
Produktion: Der saisonbereinigte Teilindex Produktion rutschte im April erstmals seit fast zwei Jahren in die Kontraktionszone. Das Minus verteilte sich dabei auf alle drei von der Umfrage erfassten Teilbereiche und wurde von den Umfrageteilnehmern in den meisten Fällen mit Lieferengpässen oder der leicht rückläufigen Nachfrage begründet.
Auftragseingang: Zum ersten Mal seit Juni 2020 verzeichneten Deutschlands Hersteller einen Rückgang der Neuaufträge. Vielfach wurde dies den Auswirkungen des Einmarschs Russlands in die Ukraine, der zunehmenden Zurückhaltung der Kunden, den Wirtschaftssanktionen sowie Produktionsstopps wegen Materialmangels zugeschrieben.
Auftragseingang Export: Auch die Exportaufträge schrumpften erneut. Nach dem im März erfolgten ersten Rückgang seit fast zwei Jahren fiel das Minus einen Monat später sogar noch etwas stärker aus. Bei zahlreichen Unternehmen litt das Auslandsgeschäft unter dem Ukraine-Krieg und den anschließenden Sanktionen gegen Russland und Belarus, während andere eine Nachfrageflaute in China aufgrund der dortigen Lockdowns registrierten.
Geschäftsaussichten: Bei der Einschätzung der Produktionsniveaus binnen Jahresfrist zeigte sich die Mehrheit der Befragten weiter pessimistisch. Der dazugehörige Teilindex gab nochmals leicht nach und notierte auf dem niedrigsten Stand seit Mai 2020. Die wirtschaftlichen Folgen des Krieges in der Ukraine wurden von vielen Managern als größtes Risiko angeführt. In diesem Zusammenhang fürchten die meisten weiter steigende Preise, noch mehr Lieferunterbrechungen sowie die zunehmende Verunsicherung und Zurückhaltung der Kunden.
Beschäftigung: Entgegen den Trends bei Produktion und Auftragseingang stieg die Beschäftigung in der Industrie erneut an. Mehr noch, der Stellenaufbau beschleunigte sich sogar leicht und lag deutlich über dem Langzeit-Durchschnitt, gehörte aber zu den schwächsten der vergangenen zwölf Monate. Unternehmen, die zusätzliches Personal eingestellt haben, begründeten dies meist mit Kapazitätserweiterungen.
Einkaufspreise: Auch zu Beginn des zweiten Quartals bleibt der Kostendruck in der Industrie hoch. Die Inflationsrate der Einkaufspreise beschleunigte sich den zweiten Monat in Folge und näherte sich den Allzeithochs des vergangenen Jahres. Die Mehrheit der Umfrageteilnehmer schrieb das erneute Plus den explodierenden Energie- und Transportkosten sowie den höheren Rohstoffpreisen zu.
Verkaufspreise: Die Umfrageergebnisse zeigen, dass mehr und mehr Hersteller die steigenden Kosten in Form von höheren Verkaufspreisen an ihre Kunden weitergeben. So zog die Teuerungsrate der Verkaufspreise im April nochmals an und übertraf den alten Rekord vom November 2021 deutlich. Alle drei Teilbereiche verzeichneten starke Preisanstiege, angeführt vom Vorleistungsgüterbereich.
EMI: Wichtige Kennzahl zur Geschäftssituation in Deutschland
Über den EMI: Der S&P Global/BME-Einkaufsmanager-Index (EMI) gibt einen allgemeinen Überblick über die konjunkturelle Lage in der deutschen Industrie. Er ist eine Momentaufnahme der Geschäftssituation im Verarbeitenden Gewerbe und ein gewichteter Durchschnitt der Messwerte für Neuaufträge, Produktion, Beschäftigung, Lieferzeiten und Vormateriallager. Der Index erscheint seit 1996 unter Schirmherrschaft des BME. Er wird von S&P Global, einem börsennotierten US-amerikanischen Finanzdienstleistungskonzern, erstellt und beruht auf der Befragung von rund 500 Einkaufsleitern und Geschäftsführern der Verarbeitenden Industrie in Deutschland (nach Branche, Größe, Region repräsentativ für die deutsche Wirtschaft ausgewählt). Der EMI orientiert sich am Vorbild des US-Purchasing Manager´s Index (S&P Global US Manufacturing PMI).
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