Seit Corona ist das Thema Homeoffice in den Mittelpunkt gerückt. Aktuell empfehlen Politiker und Gesundheitsexperten im Homeoffice zu arbeiten, ja mancherorts ist es gar Pflicht. Was aber passiert nach der Pandemie? Kommen die Mitarbeiter zurück in die Büros? Laut einer Studie von Kantar im Auftrag der Kollaborationsplattform Slick, wollen 73 Prozent der Angestellten nicht mehr zurück in den Büroalltag, wollen mindestens an zwei Arbeitstagen im Homeoffice arbeiten. Aber ist das ein Vorteil für die Mitarbeitenden oder vielleicht sogar eher für den Arbeitgeber? Und wie könnte sich das auf die Branche der Logistikdienstleister auswirken? Ein paar Gedanken von Andreas Müller
(Basel) Homeoffice ist gerade wieder eines der Topthemen in der westlichen Welt. Aufgrund der anziehenden Corona-Inzidenzen empfehlen oder fordern Politiker und Gesundheitsexperten arbeiten, wo möglich, im Homeoffice.
Viele der Angestellten freuen sich. Länger ausschlafen, lässige Kleidung am Arbeitsplatz kein Arbeitsweg in verstopften Verkehrsmitteln oder auf verstopften Strassen und eine Work-Life-Balance sind die Hauptargumente der Mitarbeiter. Die meisten wollen an mindestens zwei Arbeitstagen von zu Hause arbeiten, nämlich 73 Prozent. Dies besagt eine Studie des Meinungsforschungsinstituts Kantar1, welche im Auftrag des Instant-Messaging-Dienstes Slack1, einer Plattform für firmeninterne Kommunikation. Nur Homeoffice will aber fast niemand.
Natürlich gibt es auch Nachteile. Oft nerven die vielen Bildschirm-Meetings und auch die Konzentration kann leiden, wenn z. B. die ganze Familie gleichzeitig zu Hause ist. Beide Ehepartner im Homeoffice und die Kinder im Homeschooling, das kann auch die Grundlage für einen schiefhängenden Hausfrieden sein. Immerhin scheint das Thema mit der Schule zu Hause bei den Politikern angenommen zu sein und man will das mit der mittlerweile, sogenannten „vierten Welle“ unbedingt vermeiden.
Ist Homeoffice nur ein Vorteil für den Arbeitnehmer?
Wie sehen das aber eigentlich die Arbeitgeber? Schon vor Corona haben grosse Konzerne die Tatsache ausgenützt, dass nie 100 Prozent der Angestellten gleichzeitig anwesend sind. Krankheit oder Urlaub, Geschäftsreisen oder andere Gründe für Abwesenheiten führten dazu, dass Büroflächen nur noch nach einem genau berechneten Anwesenheitsschlüssel zur Verfügung gestellt wurden. Der feste eigene Arbeitsplatz war gestern. Ab dann hiess es „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“, d.h. wer um sieben im Büro ist, kann sich den Platz aussuchen, wer um neun kommt, muss schauen, wo noch etwas frei ist. Dass damit Teams, Gruppen oder Abteilungen auseinandergerissen werden, nehmen die Arbeitgeber in Kauf.
Homeoffice kann das noch verstärken. Waren es vorher vielleicht 80 Prozent, können es plötzlich noch 50 Prozent der Flächen sein, die zur Verfügung stehen. Die Arbeitgeber können so massive Fixkosten abbauen, auch wenn vielleicht mehr in die Qualität der verbleibenden Arbeitsräumlichkeiten investiert wird. Es werden weniger Büroflächen benötigt, was auch wiederum grossen Einfluss auf des Leben in den Innenstädten haben wird. Arbeiten an Wunschtagen kann das bleiben, was es ist, nämlich ein Wunsch. Als Arbeitnehmer kann man nicht gleichzeitig alles haben.
Neu kommt aber noch etwas anderes dazu. Sind die Arbeitnehmer im Homeoffice, dann verschwinden sie auch aus dem Blickfeld der Führungskräfte, quasi „Aus den Augen, aus dem Sinn“. Da hilft kein „Teams-Meeting“ und keine „Zoom-Konferenz“. Die Sichtbarkeit der Menschen geht verloren, selbst wenn die Leistung sogar steigt. Geführt werden kann letztlich nur noch über digitale Statistiken, auch wenn man sich hin und wieder persönlich sieht. Vielleicht ist ja der Chef oder die Chefin gerade an dem Tag im Homeoffice, wo sich Angestellte vielleicht ein persönliches Gespräch wünschen, oder es bleibt keine Zeit dafür während einer kurzen Präsenzzeit.
Aber es kommt noch ein neues Phänomen dazu. Wie kürzlich ein Bericht der „Basler Zeitung“2 (inkl. passendem Interview3) aufzeigt, merken die Arbeitgeber noch etwas anderes. Wenn Arbeitnehmer im Homeoffice arbeiten, dann kommt es auf das Gleiche heraus, ob sie 10 oder 1’000 Kilometer entfernt wohnen. Im erwähnten Beispiel des Schweizer Pharmariesen Novartis arbeitet ein Schweizer kaufmännischer Sachbearbeiter, mit einem Monatslohn von rund CHF 8’000 (ca. 7’680 EURO), gerade seinen Nachfolger in Slowenien ein, der dort danach dieselbe Arbeit für 2’500 EURO leisten wird. Auch bezüglich Arbeitsflächen wird erwähnt, dass im aufwendig gebauten Novartis-Campus nun Räume an Dritte vermietet werden. Bis vor kurzem noch undenkbar. Im Beispiel wird Novartis erwähnt, aber dieses Modell lässt sich kopieren auf Firmen in der ganzen Welt.
Homeoffice bei den Logistikdienstleistern
Der Disponent sitzt in Polen, der IT-Supporter in Indien, die Abrechnung in Rumänien, das Controlling ist automatisiert und das Finanzwesen sitzt in der Ukraine. Das Tendermanagement wird von Slowenien aus gesteuert und die Direktion und der Firmensitz sind in einem steuergünstigen Land, wie der Schweiz. Überall dort, wo die flächendeckende Konzernsprache Englisch ist, kann das problemlos so sein oder umgesetzt werden. Es müssen nicht die aufgezählten Länder sein, das kann überall dort sein, wo die Löhne tief und die Leistung trotzdem hoch ist.
Da Englisch heute bei den Jungen selbstverständlich ist und dazu gehört, wie die passenden Sneakers oder das Smartphone, wird das künftig noch viel weniger ein Problem sein. Auch bei den Kunden nicht. Themen, wie KI (künstliche Intelligenz) oder Echtzeitverfolgung, Buchungsplattformen oder ähnliche Tools tun ihr übriges dazu, damit es völlig egal ist, wo ein Mitarbeiter sitzt.
Davon unberührt scheint momentan noch die Intralogistik. Noch scheint das rein virtuelle Lager nicht realisierbar, aber ist es das wirklich? Momentan wird KI oder Themen wie Ergonomie (Stichwort: Exoskelette) als Hilfe und Unterstützung für die Mitarbeitenden gesehen. Aber ist es wirklich undenkbar, dass ein Lager nur noch von Robotern bedient wird?
Wo liegen die Erkenntnisse?
Es gibt aber auch noch andere Aspekte aus Sicht der Arbeitgeber, die auf die Arbeitnehmenden zukommen können. Braucht eine Firma überhaupt noch Festangestellte, wenn diese so oder so über die ganze Welt verstreut sind? Oder genügt es einen kleinen Stock von Arbeitskräften (Key people) fest zu verpflichten und für den ganzen Rest bedient man sich an Freelancern. Werden Millionen von „Ich-AG’s“ entstehen, die sich selbst vermarkten müssen und nicht mehr Jobs suchen, sondern Arbeit. Was auf den ersten Moment ketzerisch tönt, ist durchaus ernst gemeint. Bezahlte Ferien, Lohn bei Krankheit und viele andere Optionen fallen dann weg und werden Sache des Arbeitnehmers. Nun ist das Ganze nicht neu. Freelancer gibt es schon lange, wie z. B. „freie Journalisten“. Aber neu ist, dass sich das nun fast auf alle Arbeiten in einer Firma übertragen lässt. Immer mehr!
Egal in welcher Branche, ob es jemals wieder so sein wird, wie vor Corona, kann man definitiv mit Nein beantworten. Sicher scheint, dass die Arbeitnehmer weit weniger Einfluss auf das Geschehen haben könnten als, dass sie bisher gedacht haben. Das Drängen auf Homeoffice könnte zum Boomerang werden. Die grosse Nachfrage nach Arbeitskräften könnte sich auf die ganze Welt ausdehnen oder die Digitalisierung und Automatisierung, verbunden mit künstlicher Intelligenz, erfordert immer weniger Menschen, sprich Arbeitskräfte.
Kann sich ein Arbeitgeber gegen solche Trends wehren und weiter auf heimische Menschen setzen? Ja, kann er, wenn seine er bereit ist, weniger Rendite zu erzielen und seine Kunden bereit sind, dafür mehr zu bezahlen. Das wird der Markt zeigen. Dort, wo Produkte verkauft oder geliefert werden, ist die Situation eine andere als dort, wo reine Dienstleistungen angeboten werden.
Aber weiss man, was morgen ist? Will der der künftige „Smartphone-Junkie“ je noch sein Haus oder seine Wohnung verlassen, wenn ihm alles, wirklich alles vor die Haustür geliefert wird? Heute unvorstellbar, aber wie ist das in 50 Jahren?
Der ganze Artikel vermischt Tatsachen mit Fiktionen und soll zum Denken anregen. Es sind persönliche Gedanken, gestützt auf vorhandene Tatsachen. Wie es kommt und sich die Welt entwickelt, kann man sich vielleicht vorstellen, aber wirklich wissen tut das wohl niemand.
Quellennachweise
1 Studie Kantar/Slack:
2 Bericht „Basler Zeitung“:
https://www.bazonline.ch/entlassene-muessen-ihre-nachfolger-in-slowenien-einarbeiten-637443499368
3 Interview „Basler Zeitung“:
https://www.bazonline.ch/jobverlagerung-wird-nun-bei-viel-mehr-firmen-ein-thema-443132225792