Europa hat seine Führungsrolle in den letzten Jahren weiter ausgebaut und zentrale Themen wie Menschenrechte und Nachhaltigkeit maßgeblich beeinflusst. Ein wichtiger Schritt ist vor diesem Hintergrund die kürzliche Einführung des EU-Lieferkettengesetzes – die ersten offiziellen Richtlinien in dieser Form. Doch was bedeutet das konkret? Und worauf müssen Firmen achten? Das erläutert Robert Zehentbauer, Regional Vice President DACH bei project44 in einem Gastbeitrag.
Von: Robert Zehentbauer
(München) Das neue EU-Gesetz für die Supply Chain ist eindeutig: Grundsätzlich gilt es für alle Unternehmen, die in der Europäischen Union agieren – unabhängig von ihrer Nationalität. Allerdings greift es erst bei mehr als 500 Beschäftigten und einem Umsatz von über 150 Millionen EUR. Es verpflichtet zu Sorgfaltsmaßnahmen, um negative Auswirkungen der Lieferkette auf Menschenrechte und die Umwelt zu identifizieren und abzuschwächen. Das beinhaltet auch direkte und sogar indirekte Zulieferer weiter unten in der Lieferkette. Dabei handelt es sich um einen mutigen Vorstoß, um Unternehmen in die Pflicht zu nehmen, wenn es um Menschenrechts- und Umweltverstöße geht. Für diese Bereiche sollen sie die volle Verantwortung in ihren globalen Lieferketten übernehmen.
Auswirkungen des EU-Lieferkettengesetzes
Das Gesetz widmet sich verschiedenen Aspekten. Ein großer Schwerpunkt liegt auf den Menschen- und Grundrechten – beispielsweise der Vereinigungsfreiheit, dem Schutz vor Diskriminierung und dem Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit. Ein weiterer Teil der Richtlinien befasst sich mit wichtigen Umweltthemen wie der biologischen Artenvielfalt, der Umweltverschmutzung und dem Klimawandel. Unternehmen sind dazu verpflichtet, öffentlich über ihre Maßnahmen zur Sorgfaltspflicht zu berichten. Zudem müssen sie Beschwerdemöglichkeiten für Stakeholder bieten. Bei einem Verstoß gegen die Auflagen drohen heftige Geldstrafen und der Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen. Außerdem sind in diesen Fällen zivilrechtliche Haftungsklagen von betroffenen Interessengruppen möglich.
Die neuen Richtlinien leiten einen bedeutenden Wandel in der Unternehmensverantwortung ein. Denn dadurch sind nun Due-Diligence-Verfahren erforderlich. Es genügt nicht mehr, nur theoretisch über solche Maßnahmen zu reden. Die Firmen müssen tatsächlich in Aktion treten und dies auch belegen. Das wird sicherlich auch zu höheren Kosten führen, da die Umsetzung der Sorgfaltspflicht in komplexen Lieferketten Ressourcen und Fachwissen erfordert. Sind die Herausforderungen allerdings erst einmal gemeistert, kann dies auch positive Auswirkungen haben – etwa verbesserte Lieferantenbeziehungen oder ein Reputationsgewinn der Marke. Damit zieht das neue EU-Lieferkettengesetz jedes Unternehmen zur Verantwortung und fördert gleichzeitig eine ethisch positive Beschaffung sowie einen fairen Wettbewerb.
Möglichkeiten und Chancen
Die Weichen für eine verbesserte Lieferkette in der Europäischen Union sind gestellt. Unternehmen müssen ihre Supply Chain umfassend abbilden und die Kommunikation mit den Lieferanten optimieren. Dadurch wird auch ein stärkerer Fokus auf das Risikomanagement gelegt. So lässt sich potenzieller Missbrauch vermeiden und früher eindämmen. Rechtliche Risiken für die Reputation einer Marke sind damit geringer. Neue Technologien und die Zusammenarbeit mit Branchenkollegen können die Due-Diligence-Prozesse rationalisieren. Transparente Daten von Plattformen wie project44 unterstützen zudem eine bessere Sichtbarkeit. Dadurch erhalten die Unternehmen mehr Informationen, die sie auch für eine präzisere Berichterstattung verwenden können. Auf diese Weise können sie die neuen gesetzlichen Bestimmungen zuverlässig einhalten.
Mit dem neuen Lieferkettengesetz ist der Europäischen Union ein wegweisender Rechtsakt gelungen. Ähnliche Bemühungen finden derzeit auch international statt. So hat die UN eigene Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte eingeführt. Ebenso bieten die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen einen unverbindlichen Rahmen, den einige Länder bei der Entwicklung ihrer eigenen Vorschriften nutzen könnten. Möglicherweise gibt es in einigen Regionen andere Prioritäten – etwa, wenn es darum geht, welche Aspekte der Auswirkungen auf die Lieferkette im Vordergrund stehen sollten. Auch die unterschiedliche Gewichtung von Menschenrechten und Umweltfragen kann zu unterschiedlichen Vorgehensweisen in den einzelnen Ländern führen.
Komplex und überaus anspruchsvoll
Das neue EU-Lieferkettengesetz ist komplex, und das kann auf den ersten Blick entmutigen. Es ist überaus anspruchsvoll, die Anforderungen an nachhaltige und verantwortungsvolle Prozesse umzusetzen. Wenn Unternehmen allerdings proaktiv reagieren, ihre Lieferkettenprozesse entsprechend anpassen oder unterstützende Technologien einführen, sind sie vorbereitet auf die Herausforderungen in der modernen Supply Chain.
Robert Zehentbauer ist Regional Vice President DACH region bei project44. Er verfügt über fundiertes Wissen als Sales- und Logistik-Experte und kann auf mehr als drei Jahrzehnte Erfahrung in den Bereichen Logistik, Software und IT zurückblicken. Seine Karriere umfasst bedeutende Positionen bei Kühne + Nagel, Siemens Information Systems sowie führenden US-amerikanischen Unternehmen im Bereich Logistik und Supply Chain Software wie JDA Technologies, Descartes und i2 Technologies.