Der E-Commerce hat oftmals eine bessere Klimabilanz als der stationäre Handel. Zu diesem Ergebnis kommt eine gemeinsame Studie der Strategieberatung Oliver Wyman und der Logistics Advisory Experts, einem Spin-off der Universität St. Gallen, in acht europäischen Ländern, darunter Deutschland, Frankreich und Grossbritannien. Laut der Analyse im Auftrag des Online-Händlers Amazon schneidet der Internet-Handel beim CO2-Ausstoss pro verkauftem Artikel über die gesamte Lieferkette hinweg unter den gegebenen Annahmen in den einzelnen Staaten im Schnitt um den Faktor 1,5 bis 2,9 besser ab. Insgesamt erwies sich der Handel als Wachstumsmotor: Um zwei Prozent jährlich legte die Branche zuletzt durchschnittlich zu. Dabei zeigte der E-Commerce mehr Dynamik und erhöhte seinen Marktanteil, insbesondere in Corona-Zeiten, deutlich.
Von: Ludwig Häberle
(St. Gallen) Shoppen im Geschäft vor Ort oder stattdessen im Internet? Mit Blick auf die CO2-Bilanz liefert eine gemeinsame Studie der Strategieberatung Oliver Wyman und der Logistics Advisory Experts, Spin-off der Universität St. Gallen, ein überraschendes Ergebnis. Vielen Menschen gilt der E-Commerce wegen des Transports bis zur Haustür als Klimasünder. Tatsächlich aber schneidet der Online-Handel im Vergleich mit der stationären Variante unter den gesetzten Annahmen in acht europäischen Ländern pro verkaufter Wareneinheit um den Faktor 1,5 bis 2,9 besser ab. Beauftragt wurden die Forscher und Strategieberater vom Online-Händler Amazon. In ihrer unabhängigen Studie untersuchten die Experten die gesamte Lieferkette und ermittelten, dass beim Kauf eines Produktes im stationären Handel im Schnitt 2.000 Gramm CO2 freigesetzt werden – für eine Online-Lieferung dagegen nur 800 Gramm. Einkaufsfahrten mit Bus, Bahn oder dem Rad können den Unterschied zwar verringern, aber in der Summe nicht gänzlich ausgleichen.
City-Shopping mit dem Auto macht den Unterschied
Die Logistikexperten haben den Effekt im Detail nachgerechnet. So verursacht der stationäre Kauf eines Buchs über alle Länder hinweg im Schnitt das 1,6-Fache des CO2-Ausstosses im Vergleich zum Online-Shopping, bei Modeprodukten ist es sogar das 2,9-Fache – Retouren sind dabei einberechnet. Individuelles Konsumverhalten kann allerdings einen erheblichen Unterschied machen. Wer beispielsweise zu Fuss zum Buchladen geht, kommt auf die gleiche Klimabilanz wie der Online-Käufer. Da viele City-Shopper allerdings mit dem Auto unterwegs sind, liegt der E-Commerce auch bei der Verkehrsbelastung besser. Die Bündelungseffekte des Lieferverkehrs in der Paketauslieferung sparen das 4- bis 9-Fache an Individualverkehr ein, wodurch Innenstädte entlastet werden. Dass Deutschlands stationäre Händler im europäischen Vergleich den grössten ökologischen Fussabdruck hinterlassen, liegt primär an den hohen CO2-Emissionen der Gebäude. Diese könnten allerdings mit einem höheren Einsatz erneuerbarer Energie, gestützt durch Förderungsinstrumente für die energetische Sanierungen durch die öffentliche Hand, sinken.
E-Commerce wächst zweistellig
Betrachtet wurden neben Deutschland noch Frankreich, Grossbritannien, Italien, die Niederlande, Polen, Schweden und Spanien. In allen Ländern zusammen legte der Anteil des E-Commerce am gesamten Handelsumsatz in den Jahren 2010 bis 2019 von vier auf elf Prozent zu – in Deutschland erreichte er ein Plus von 12 Prozent. „Mit einem jährlichen Wachstum von 15 Prozent entwickelte sich der E-Commerce viel dynamischer als der stationäre Handel und steuerte trotz eines deutlich geringeren Marktanteils absolut betrachtet rund die Hälfte des Gesamtzuwachses der letzten zehn Jahre bei. Zusammen erzielten stationärer Handel und E-Commerce ein jährliches Plus von durchschnittlich 2,0 Prozent.
Die Studie zeigt auch: Stationärer Handel und E-Commerce verschmelzen mehr und mehr, weil klassische Geschäfte ins Internet vorstossen. Vor allem die grossen Handelsketten verfolgen zunehmend einen Multichannel-Ansatz. Sie sind damit für 20 Prozent des Wachstums im Online-Segment zwischen 2010 und 2019 verantwortlich. Spätestens mit den Lockdowns in der Corona-Zeit streben nun auch kleinere Läden verstärkt ins Internet. Der Schritt lohne sich: So erhöhten in Deutschland 51 Prozent der von Ketten unabhängigen Geschäfte ihren Umsatz in den letzten drei Jahren, wenn sie auch online verkauften. Ohne E-Commerce-Aktivität gelang dies nur 38 Prozent.
Der wachsende Einzelhandel hat neue Stellen geschaffen. In den acht Ländern entstanden zwischen 2008 und 2018 rund 1,3 Millionen neue Jobs – eine Million davon bei stationären Anbietern. Jedoch generiert der Kauf von Produkten online genauso viele Arbeitsplätze, entgegen der landläufigen Meinung, wie im traditionellen Handel. E-Commerce hat einen grösseren Hebel bei sogenannten indirekten Jobs – etwa in Logistikzentren oder der Auslieferung auf der letzten Meile. Pro Online-Arbeitsplatz entstehen im Schnitt noch einmal 1,2 Stellen – im stationären Handel beträgt der Faktor 0,2. So zeigt die Studie, dass E-Commerce und der klassische Handel beim Umsatz pro Beschäftigten mit 220.000 Euro gleichauf liegen.
Wohlstand entscheidet über den Erfolg von Einkaufsmeilen
Die häufig vermutete Verdrängung der Geschäfte in Innenstädten durch die Online-Konkurrenz wird durch die Studie nicht bestätigt. Die Beschäftigtenzahl im stationären Handel hängt in den City-Lagen offensichtlich nicht primär von der Marktdurchdringung des E-Commerce ab, sondern eher von demografischen Faktoren, vom Wohlstand der Bevölkerung, oder von der Attraktivität der Städte für Touristen. Untersucht wurden Grossstädte wie London, Paris und Hamburg, die alle einen dynamischen E-Commerce hätten. Die Metropolen zeigen sich beim stationären Handel im Allgemeinen stabil. Das gilt auch für mittelgrosse und selbst kleinere Städte, wenn sie eine wachsende Bevölkerung mit einem überdurchschnittlichen Wohlstand aufweisen. Die Gefahr für Einkaufsmeilen in den Innenstädten geht gemäss der Studie weniger vom Online-Handel aus. Ein wichtiger Wettbewerbsfaktor für die City-Händler sind die Malls und grossen Handelsketten, die auf der grünen Wiese in der Peripherie bauen.
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Grafik: © Oliver Wymann
Foto: Adobe Stock
Ludwig Häberle ist als Projektmanager bei der Logistics Advisory Experts GmbH tätig und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Institut für Supply Chain Management der Universität St.Gallen. www.logistics-advisory-experts.ch