Letzte Woche fand im Hotel Einstein in St. Gallen der diesjährige Supply Chain Innovation Day statt – organisiert vom Institut für Produktions- und Supply Chain Management (PSCM-HSG) der Universität St. Gallen. Unter dem Leitthema „Lieferketten im Zeitalter globaler Unsicherheiten: resilient, vernetzt, zukunftsfähig“ bot die Veranstaltung ein eindrucksvolles Forum für Entscheiderinnen und Entscheider aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik.
(St. Gallen) Ziel des Tages war es, Strategien, Technologien und Best Practices vorzustellen, die Lieferketten widerstandsfähiger und zugleich effizienter machen. Ein straffes Programm mit über einem Dutzend Fachbeiträgen, Keynotes und Start-up-Präsentationen beleuchtete das Thema aus unterschiedlichsten Perspektiven – von Geopolitik über Digitalisierung bis zu urbaner Logistik.
Globale Spannungen als Realität – Chancen in neuen Märkten
Zum Auftakt stellte Prof. Dr. Julia Arlinghaus, Leiterin des PSCM-HSG, die zentrale Frage, ob Technologie in Zeiten multipler Krisen eher „Rettungsanker oder Risiko“ sei. In einer Welt geopolitischer Brüche brauche es, so Arlinghaus, eine neue Balance zwischen Vernetzung und Resilienz. Holger Seehusen, Managing Director von Militzer & Münch, nahm die Zuhörer mit auf eine Reise durch die globalen Liefernetzwerke. Unter dem Titel „Schlüsselregionen – Schlüsselprobleme“ zeigte er auf, wie sich klassische Absatzmärkte wie Russland oder Teile des Nahen Ostens verlagern, während Länder wie Vietnam oder Indonesien zu neuen Wachstumszentren avancieren. Besonders in Südostasien, so Seehusen, böten stabile politische Rahmenbedingungen, aufstrebende Mittelschichten und eine exportstarke Industrie Chancen für die europäische Logistik – trotz noch immer komplexer Zoll- und Infrastrukturbedingungen.
Handelskrisen und Zölle als Herausforderung für Europa
Einen juristischen und wirtschaftspolitischen Blick warf Claudia Feusi, Gesellschafterin von Douana AG, in ihrem Vortrag „Handelskrieg oder Handelswandel?“. Sie analysierte die Folgen amerikanischer Strafzölle auf europäische Waren und zeigte auf, wie Unternehmen rechtzeitig auf drohende Importhemmnisse reagieren können. Neben rechtlichen Einblicken bot sie praktische Empfehlungen – von der Optimierung des Zollwerts über die Verlagerung von Produktionsstandorten bis hin zur aktiven Überwachung von Liquidationen. Ihr Fazit: „Monitoring ist der neue Wettbewerbsvorteil.“ In der anschliessenden Themensession I diskutierten Vertreter von Bosch, KPMG und Huber+Suhner, wie sich Unternehmen zwischen geopolitischen Risiken, ESG-Anforderungen und neuen Regulierungen positionieren können.
Der Deutschen Wirtschaft den Spiegel vorgehalten
Für vertieften Gesprächsstoff sorgte die erste Keynote des Tages. Matthias Magnor, CEO der BLG Logistics Group aus Bremen, sprach zu den Teilnehmenden zum Thema „Tariffs, Trade and Tensions: vom Made in Germany zum Mad in Germany“! Er nahm dabei kein Blatt vor den Mund und prangerte die Schwachstellen der Wirtschaft in Deutschland schonungslos an. Nur einen Tag vom dem Supply Chain Innovation Day war Bundeskanzler Friedrich Merz zu Gast bei der BLG in Bremerhaven und Magnor nutzte die Gelegenheit, um auch dem Kanzler seine Sicht auf die Dinge darzulegen. Als grösster Hemmschuh sieht Magnor die grasende Bürokratie. Er erzählte als ein Beispiel aus der Praxis, dass fixfertige Panzer keine Betriebsgenehmigung erhalten, weil die Öffnungsluke für schwangere Frauen im neunten Monat zu eng seien. Der Vortrag Magnors endete aber nicht, ohne aufzuzeigen, dass in der Krise auch eine Chance liegt.
Agilität ist die neue Stabilität
Die Mittags-Keynote hielt Martin Wehner, Chief Commercial Officer von Hellmann Worldwide Logistics, der den Begriff der Resilienz neu definierte: „Wenn Unsicherheit zur neuen Normalität wird, ist Agilität die neue Stabilität.“ Er zeigte, wie Hellmann Transparenz, Daten und künstliche Intelligenz kombiniert, um Lieferketten nicht nur robuster, sondern auch kundenorientierter zu gestalten. Mit dem „Co-Creation Program“ lädt Hellmann seine Kunden ein, gemeinsam Lösungen zu entwickeln – von der Risikoanalyse über Prototyping bis hin zur Umsetzung. Neben technologischen Tools, etwa einer intelligenten Visibility-Plattform und CO₂-Reporting-Systemen, hob Wehner den Faktor Mensch hervor: „Technologie ist wichtig, aber Vertrauen und Partnerschaft bleiben die Basis funktionierender Netzwerke.“
Innovationen durch Start-ups und Venture Capital
Am Nachmittag rückte die Innovationskultur in den Mittelpunkt. Gregor Kress von Plug and Play Tech Center, der weltweit grössten Innovationsplattform, sprach im Trend Talk über „Venture Capital als Frühindikator für die Innovationen von morgen“. Er zeigte, wie Start-ups die Logistik- und Supply-Chain-Branche revolutionieren – von autonomen E-Lkw (Einride) über mobile CO₂-Rückgewinnungssysteme (Qaptis) bis hin zu digitalen Flottenplattformen (Colonia). Im anschliessenden Start-up Speed Pitch präsentierten sieben junge Unternehmen ihre Lösungen für eine nachhaltige und datenbasierte Supply Chain – darunter KATMA CleanControl mit digitalem Reinigungsmanagement, Pick8Ship mit robotergestütztem Fulfillment sowie Logtastiq, eine Plattform für transparente Lagerprozesse. Das Publikum erhielt in kompakten Drei-Minuten-Pitches einen inspirierenden Überblick über das Innovationspotenzial der Branche.
Digital Twins und künstliche Intelligenz als Wissensspeicher
Mit seinem Beitrag „From Data to Knowledge“ zeigte Antonius Gress, Co-Founder von Blockbrain, wie sogenannte „Knowledge Digital Twins“ das Wissen von Fachkräften in digitalen Modellen abbilden und nutzbar machen. Diese KI-basierten Systeme könnten künftig Antworten, Prozesse und Entscheidungen automatisieren – ein entscheidender Schritt, um dem Fachkräftemangel in komplexen Liefernetzwerken zu begegnen. Auch in der Themensession II wurde deutlich: Unternehmen müssen Wissen, Daten und Technologien enger verzahnen, um in Krisenzeiten handlungsfähig zu bleiben.
Autonome Logistik und neue Mobilitätskonzepte
Ein visionärer Blick in die urbane Logistik kam von Dr. Christian Kubik (LOXO). In seinem Vortrag „Autonome Transportfahrzeuge – Perspektiven und Chancen für die Logistik in urbanen Räumen von morgen“ präsentierte er Forschungsergebnisse aus Bern, wo selbstfahrende Lieferfahrzeuge und Mikro-Hubs im Pilotbetrieb getestet werden. Das Ergebnis: bis zu 20 Prozent höhere Zustellkapazität, 14 Prozent weniger Arbeitszeit für Kuriere und eine deutliche CO₂-Reduktion. Kubik sieht darin „einen Paradigmenwechsel in der letzten Meile“.
Transformation industrieller Wertschöpfung
Den Abschluss bildete Dr. Andreas Widl, CEO der Samson Group, mit einer praxisnahen Keynote über die digitale Transformation industrieller Wertschöpfung. Anhand konkreter Anwendungen – von autonomen Drohneninspektionen bis zu KI-gestützten Qualitätsanalysen – zeigte er, wie sein Unternehmen Daten, digitale Zwillinge und Automatisierung in globale Produktionsnetzwerke integriert. Widls Fazit: „Resilienz entsteht aus der Fähigkeit, Wissen, Technologie und Menschen intelligent zu verbinden.“

Auch zum Netzwerken blieb am Supply Chain Innovation Day in St. Gallen genug Zeit
Forschung trifft Praxis – der Blick nach vorn
Mit rund 250 Teilnehmenden bot der Supply Chain Innovation Day 2025 einen hochkarätigen Querschnitt durch aktuelle Entwicklungen der globalen Logistik. Zwischen Keynotes, Trend Talks und Networking am Apéro zeigte sich: Resilienz, Nachhaltigkeit und Digitalisierung sind längst keine Zukunftsthemen mehr – sie bestimmen die tägliche Praxis. Zum Abschluss präsentierte die Fördervereinigung des PSCM-HSG ihre Forschungsschwerpunkte für 2026. Im Fokus stehen KI, digitale Zwillinge, resiliente Netzwerkarchitekturen und neue Kooperationsmodelle für nachhaltige Logistik. Damit setzt die Universität St. Gallen ein deutliches Zeichen: Die Zukunft der Lieferketten entsteht dort, wo Wissenschaft und Wirtschaft gemeinsam denken.
Fotos: © Supply Chain Innovation Day / Bildlegende Titelbild: CEO der BLG Logistics Group sprach am Supply Chain Innovation Day über den Zustand der Wirtschaft in Deutschland.