Logistiker, Einkäufer und Supply Chain-Manager stehen nicht erst seit der Corona-Krise unter enormem Druck. Herausforderungen wie 24/7-Erreichbarkeit, Krisenmanagement, Kostenoptimierung und Zeitdruck prägen ihren Alltag. Diese Belastungen können schnell eine Negativspirale auslösen, welche die Teamstimmung drückt, und das Betriebsergebnis beeinträchtigt. Studien zeigen: Eine kollektive negative Energie im Team senkt die Leistungs- und Innovationsfähigkeit von Unternehmen um 20-30%.
Von: Dr. oec. Katrin Oettmeier
(St. Gallen) Die gute Nachricht vorneweg: Es gibt effektive Ansätze, die Supply Chain-Führungskräfte nutzen können, um negative Emotionen und Verhaltensweisen im Team in produktive Energie umzuwandeln.
Die Supply Chain ist nicht nur eine Frage von Prozessen und Technologien – die Menschen, die sie gestalten, sind entscheidend für den Erfolg der Lieferkette. Negative Energie, wie Frustration oder Zynismus, kann sich schnell im Team verbreiten und die Zusammenarbeit sowohl mit den diversen internen Stakeholdern als auch mit externen Partnern erschweren. Supply Chain-Führungskräfte müssen daher aktiv handeln, um die Stimmung zu heben und produktive Energie zu fördern. Dies ist nicht nur ethisch richtig, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll.
Dynamiken in Teams und deren Auswirkungen
Um die Dynamiken in Teams und deren Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg besser verstehen zu können, hilft das Konzept der «Organisationalen Energie». Entwickelt und empirisch validiert wurde das Konzept der organisationalen Energie am Institut für Leadership der Universität St.Gallen (HSG). Es beschreibt die kollektive mentale, emotionale und aktionale Kraft, die ein Unternehmen oder Team für die Verfolgung seiner Ziele an den Tag legt. Kurz gesagt: Inwiefern sind die Mitglieder einer Organisation mit Kopf, Herz und Hand bei der Sache, um das gemeinsame Unternehmensziel zu erreichen – oder auch nicht?
Organisationale Energie manifestiert sich in der Intensität, Geschwindigkeit und Ausdauer von Arbeits-, Veränderungs- und Innovationsprozessen. Es gibt vier Typen von organisationaler Energie, die sich durch unterschiedliche Ausprägungen an Intensität (hoch / niedrig) und Qualität (positiv / negativ) der vorherrschenden Energie unterscheiden (s. Abbildung).
Produktive Energie ist der Idealzustand, in dem Teams engagiert und fokussiert arbeiten. In Supply Chain-Jobs, wo eine hohe Einsatzbereitschaft und schnelle Reaktionen z.B. auf operative Herausforderungen wie Versorgungsengpässe oder Nachfrageschwankungen entscheidend sind, ist dieser Zustand besonders wichtig.

Personelle Herausforderungen in der Supply Chain
Supply Chain-Manager stehen vor einer Vielzahl von Herausforderungen, welche auch die organisationale Energie beeinflussen können:
- Ständige Erreichbarkeit: Die Notwendigkeit, rund um die Uhr verfügbar zu sein, führt schnell zu Stress und Erschöpfung.
- Krisenmanagement: Unvorhersehbare Störungen wie Lieferengpässe oder geopolitische Spannungen erfordern schnelle Entscheidungen unter Druck.
- Kosten- und Zeitdruck: Der Fokus auf Kostensenkungen und schnelle Lieferzeiten kann die Arbeitsbelastung erhöhen.
- Technologischer Wandel: Die Einführung neuer Technologien wie KI oder Blockchain erfordert Anpassungsfähigkeit und ständige Weiterbildung.
- Cross-organisationale Zusammenarbeit: Projekte mit Lieferanten oder Kunden bedingen die Steuerung von organisationaler Energie über Unternehmensgrenzen hinweg.
Diese Faktoren können Supply Chain-Teams in die sogenannte „Beschleunigungsfalle“ treiben, wo ständige Aktivität ohne klare Ausrichtung zu einer Art «organisationalen Burnout» führt. Die Folge: Eine negative, zersetzende Stimmung im Team. Diese korrosive Energie äussert sich z.B. in innerbetrieblichen Konflikten, einer niedrigen Mitarbeiterzufriedenheit und einem geringen Engagement der Teammitglieder. Statt an einem Strang zu ziehen, verfolgen die einzelnen Teammitglieder ihre eigenen Interessen, welche nicht unbedingt im Einklang mit dem Team- bzw. Unternehmensziel stehen.
Ohne ein gezieltes Management kann produktive Energie also in korrosive oder resignative Energie umschlagen. Untersuchungen der Universität St.Gallen zufolge sinkt dadurch die Innovations- und Leistungsfähigkeit der Organisation um etwa 20-30%.
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Strategien zur Förderung von produktiver Energie
Um die Kräfte im Team positiv in Richtung Zielerreichung zu mobilisieren, können Führungskräfte in der Supply Chain folgende Massnahmen ergreifen:
- Klare Vision und Strategie schaffen
Eine inspirierende Vision, die zeigt, wie die Arbeit des Teams zum Unternehmenserfolg und zur Kundenzufriedenheit beiträgt, mobilisiert produktive Energie. Ein Logistikteam könnte z.B. motiviert werden, indem betont wird, wie ihre Arbeit die Versorgungssicherheit gewährleistet – veranschaulicht anhand konkreter Kundenfeedbacks. - Workload managen und Burnout verhindern
Führungskräfte sollten die Arbeitsbelastung ausgleichen und klare Prioritäten setzen, um eine Überlastung zu vermeiden. Regelmässige Pausen sind entscheidend, sowohl kurz- als auch mittelfristig. Sind Teams zu lange im Dauerstress – zum Beispiel, weil ein Veränderungsprojekt das nächste jagt und zusätzlich noch das Tagesgeschäft brennt – kann anfängliche Motivation schnell umschlagen in resignative Trägheit oder gar einen organisationalen Burnout. Eine taktische und strategische Planung der Unternehmensaktivitäten sollte also auch berücksichtigen, dass auf Phasen, wo den Mitarbeitenden ein sehr hoher Einsatz abverlangt wird, stets ruhigere Phasen der Verstetigung und kontinuierlichen Verbesserung folgen. - Offene Kommunikation und Zusammenarbeit fördern
Regelmässige Teammeetings, Feedbackschleifen und transparente Kommunikation bauen Vertrauen auf. In cross-organisationalen Projekten sollten Führungskräfte regelmässige Abstimmungen mit Lieferanten und Kunden organisieren, um Missverständnisse zu vermeiden und sicherzustellen, dass alle Parteien am selben Strang ziehen. - Erfolge feiern, positive Beiträge anerkennen und belohnen
Selbst kleine Meilensteine, wie die Optimierung eines Lieferprozesses, sollten gefeiert werden, um die Moral zu heben. Anerkennung kann z.B. durch Lob, Boni oder Team-Events erfolgen. Oftmals hat eine ehrliche, individuelle Wertschätzung einen grösseren motivatorischen Effekt auf Mitarbeitende als rein materielle Anreize. - Konflikte und negative Verhaltensweisen adressieren
Korrosive Energie, wie Zynismus oder Konflikte, sollte frühzeitig durch offene Gespräche und Mediation abgebaut werden. Ein Beispiel wäre, Spannungen zwischen dem Einkaufs- und Logistikteam durch gemeinsame Workshops zu adressieren und zu lösen. Aktives Zuhören hilft, um den aufgestauten Emotionen Raum zu geben und somit den ersten Schritt in Richtung Deeskalation zu schaffen. - Starke Beziehungen zu externen Partnern aufbauen
Faire Verträge, eine regelmässige Kommunikation und proaktive Konfliktlösung mit Lieferanten, Kunden und Dienstleistern stärken die Beziehungen und fördern positive Energie über Organisationsgrenzen hinweg. Klare, für alle Partner verbindliche Ziele schaffen zudem Ausrichtung. - Daten und Analysen nutzen
Datenbasierte Entscheidungen, wie die Nutzung von Predictive Analytics für die Nachfrageplanung, können Unsicherheiten und Stress reduzieren. Dies kann auch das Energielevel im Supply Chain-Team positiv beeinflussen.
Förderung von produktiver Energie in Supply Chain-Teams ist zentrale Führungsaufgabe
Die Förderung von produktiver organisationaler Energie in Supply Chain-Teams ist eine zentrale Führungsaufgabe, die sowohl die Mitarbeiterzufriedenheit als auch die Unternehmensleistung steigert. Durch klare Visionen, offene Kommunikation, Anerkennung und gezieltes Konfliktmanagement können Führungskräfte negative Dynamiken in positive umwandeln. Besonders in unternehmensübergreifenden Kontexten, wie der Zusammenarbeit mit Lieferanten oder Dienstleistern, ist es wichtig, Vertrauen und gemeinsame Ziele zu schaffen. Indem sie die menschliche Seite der Supply Chain in den Fokus rücken, können Führungskräfte nicht nur die Performance steigern, sondern auch eine innovationsgetriebene Kultur fördern.
Dr. oec. Katrin Oettmeier ist Expertin für Supply Chain Management, Leadership und Coaching. Sie verfügt über mehr als 15 Jahre Berufs- und Führungserfahrung in den Bereichen Logistik, Supply Chain Management, Digitalisierung, Operational Excellence sowie Coaching und ganzheitliche Gesundheit. Ihre berufliche Laufbahn umfasst u.a. leitende Positionen bei der Hilti AG, wissenschaftliche Tätigkeiten an der Universität St.Gallen und der OST Ostschweizer Fachhochschule, die Arbeit als IT- und Unternehmensberaterin sowie die Gründung ihres eigenen Unternehmens EN-TARA mit Fokus auf Empowerment und Komplementärtherapie. Katrin Oettmeier ist promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin mit Abschlüssen der Universität St.Gallen (HSG), der Rotterdam School of Management und der Universität Mannheim.
Fotos/Grafiken: © OST Ostschweizer Fachhochschule




Dr. oec. Katrin Oettmeier ist Expertin für Supply Chain Management, Leadership und Coaching. Sie verfügt über mehr als 15 Jahre Berufs- und Führungserfahrung in den Bereichen Logistik, Supply Chain Management, Digitalisierung, Operational Excellence sowie Coaching und ganzheitliche Gesundheit. Ihre berufliche Laufbahn umfasst u.a. leitende Positionen bei der Hilti AG, wissenschaftliche Tätigkeiten an der Universität St.Gallen und der OST Ostschweizer Fachhochschule, die Arbeit als IT- und Unternehmensberaterin sowie die Gründung ihres eigenen Unternehmens EN-TARA mit Fokus auf Empowerment und Komplementärtherapie. Katrin Oettmeier ist promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin mit Abschlüssen der Universität St.Gallen (HSG), der Rotterdam School of Management und der Universität Mannheim.