Startseite LänderDeutschland Mittelstand bleibt wenig Zeit für Schadenersatzklage gegen LKW-Kartell

Mittelstand bleibt wenig Zeit für Schadenersatzklage gegen LKW-Kartell

von Redaktion Loginfo24

Vier Monate vor Verjährungseintritt sind bereits mehrere zehntausend Unternehmen mit bis zu 1 Mio. Lkw in Schadensersatzverfahren gegen das Lkw-Kartell aktiv geworden. Denn nach den Feststellungen der EU-Kommission hatten die großen europäischen Lkw-Hersteller in den Jahren 1997 bis Anfang 2011 kartellrechtswidrige Absprachen getroffen.

(Amsterdam/München) Der Fall ist besonders interessant: Es wurden nicht nur Rekordbußgelder von rund 3.8 Mrd. Euro gegen die LKW-Hersteller durch die EU verhängt, die EU hatte auch in den letzten Jahren die Rechte der Kläger in solchen Fällen gestärkt.

Nun liegen die ersten Urteile aus den Mitgliedsstaaten vor. Diese sind aus Klägersicht mit überwiegender Mehrheit positiv. Trotz der positiven Aussichten und der bereits umfangreichen Klageaktivität, sind jedoch bisher weniger als 50% der betroffenen Lkw-Käufer aktiv geworden. Insbesondere der breite Mittelstand nutzt sein Recht auf Schadensersatz deutlich weniger häufig als große Unternehmen. Die Stiftung unilegion ist ebenfalls mit einer Sammelklage aktiv und hat in ihrem Case-Report zum Lkw-Kartell in einer Marktstudie mit rund 3.500 Interviews betroffener Unternehmen die Hintergründe analysiert.

50-60% des Mittelstands nicht aktiv

Die EU-Kommission hat mit Rekordbußgeldern von 3,8 Mrd. Euro in 2016 und 2017 den Weg für Schadensersatzklagen gegen die großen Lkw-Hersteller frei gemacht. Aktuell klagen in der EU rund 30.000 Unternehmen für knapp 1 Mio. Lkw auf Schadensersatz gegen die Lkw-Hersteller. Damit sind vier Monate vor Eintritt der Verjährung in vielen EU-Mitgliedstaaten ca. 50-60% der Unternehmen, auf die ca. weitere 2.6 Mio. im Kartellzeitraum erworbene Lkw entfallen, noch nicht aktiv geworden.

Vielzahl positiver Urteile und Unterstützung durch EU

Gleichzeitig ist der Reifegrad der ersten Prozesswelle in vielen EU-Mitgliedstaaten fortgeschritten, so dass eine Vielzahl von Urteilen vorliegt – in den allermeisten Fällen mit positivem Ergebnis für die Kläger. Soweit bereits Schadensersatzbeträge ausgeurteilt wurden, lagen diese oft in einer Größenordnung von bis zu 10.000 Euro pro Lkw (zzgl. Zinsen). So kommen wir im Frühjahr 2021 in eine besondere Phase des bislang größten kartellrechtlichen Verfahrenskomplexes der EU-Geschichte:

  • Es ist das erste Mal, dass eine so große Zahl an geschädigten Unternehmen Schadensersatz wegen eines Kartellverstoßes einklagt. Die verlangten Schadenssummen sind erheblich und belaufen sich insgesamt auf mehrere Milliarden Euro.
  • Die rechtlichen Voraussetzungen der Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche sind in den letzten Jahren – auch auf Betreiben der EU-Kommission – deutlich verbessert worden. Dazu hat sich in vielen EU-Mitgliedstaaten eine weitgehend klägerfreundliche Entscheidungspraxis herausgebildet.
  • Parallel bietet eine Reihe von professionellen Klägerorganisationen finanzierte Sammelklagen an, die für die Geschädigten in den meisten Fällen eine Durchsetzung ihrer Schadensersatzansprüche ohne Kostenrisiko und Aufwand ermöglichen.
  • Dennoch ist die Mehrheit der Geschädigten bislang nicht aktiv geworden. Vor allem mangelt es an Informationen.
Höhe des Schadensersatzes

Die Höhe des Schadensersatzes hängt vom Einzelfall und dem Ergebnis einer wettbewerbsökonomischen Begutachtung ab. Typischerweise betragen kartellbedingte Preisaufschläge bei langlaufenden und flächendeckend betriebenen Kartellen ca. 10-20% des gezahlten Kaufpreises (bzw. der Leasingraten). Es ist daher möglich, dass pro Lkw mehr als 10.000 Euro Schadensersatz zu leisten sind. Hinzu kommen erhebliche Zinsen, die sich ihrerseits je nach Erwerbsdatum noch einmal auf bis zu 100% und mehr des eigentlichen Schadensbetrags belaufen können. Selbst kleine Unternehmen mit nur fünf erworbenen Lkw kommen so schnell auf Schadensersatzsummen von 50.000 bis 100.000 Euro (inkl. Zinsen).

Mangelnde Information beim Mittelstand

Die unilegion Truck Claims Stiftung hat den Stand der Klagen in der EU analysiert und in einer Marktstudie knapp 3.500 Transport- und Industrieunternehmen aus den vier EU-Staaten Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien zum Lkw-Kartell befragt, um ein Stimmungsbild zu erstellen. Die Ergebnisse sind eindeutig:

  • Große Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern sind in der Regel gut informiert und gehen entweder eigenständig oder in Sammelklagen bereits gegen das Lkw-Kartell vor.
  • Anders ist es bei kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU). Hier sind die Unternehmen vor allem dann aktiv geworden, wenn sie z.B. durch die Fachpresse oder Verbandsarbeit entsprechend über die Möglichkeiten der Teilnahme an Sammelklagen aufgeklärt wurden. Die überwiegende Mehrheit des Mittelstands, der keine Nähe zu Verbänden hat und die Fachpresse nicht aktiv verfolgt, ist bislang außen vor geblieben.
Noch vier Monate bis Verjährungseintritt

Es bleibt daher die Aufgabe des europäischen Rechtsstandorts, der Fachpresse, Verbände und Interessengemeinschaften, den Mittelstand weiter über seine Rechte und Möglichkeiten zu informieren, insbesondere zu finanzierten Klageinstrumenten.

Für das Lkw-Kartell verbleiben hierzu noch vier Monate, da in vielen EU-Mitgliedstaaten im Juli 2021 (fünf Jahre nach Erlass der Bußgeldentscheidung der EU-Kommission gegen die Lkw-Hersteller) ein Eintritt der Verjährung aller Ansprüche droht.

Fotos/Grafiken: © Unilegion

www.unilegion-truck-claims.eu

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