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DSLV beantwortet Fragen zum Brexit-Handelsabkommen

von Redaktion Loginfo24

Niels Beuck, DSLV-Geschäftsführer und Leiter Europäische Angelegenheiten, beantwortet Fragen zu den Auswirkungen auf die deutsche Speditions- und Logistikbranche zum kurz vor Weihnachten abgeschlossenen Handelsabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich (UK) und der EU. Er sieht nicht alle Unternehmen gleich gut vertraut mit dem neuen Szenario.

(Berlin) Fünf Fragen an Niels Beuck, DSLV-Geschäftsführer und Leiter Europäische Angelegenheiten. Welche Auswirkungen hat das erst kurz vor Weihnachten geschlossene Handelsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich (UK) auf die deutsche Speditions- und Logistikbranche?


Sorgt das Abkommen nach jahrelangen Brexit-Verhandlungen für Erleichterung in der Wirtschaft?

Ja, aber eine deutlich frühere Einigung wäre viel hilfreicher gewesen als ein Last-Minute-Deal. Die Wirtschaft hat jetzt kaum Zeit, sich vorzubereiten. Trotzdem ist das Abkommen zu begrüßen – als bestmöglicher Abschluss dieses insgesamt sehr unglücklichen Austrittsprozesses eines EU-Mitgliedstaats. Nun gilt es, die zahlreichen Details des fast 1500 Seiten umfassenden Abkommens zu sichten und in die Praxis umzusetzen. Bei aller Unwägbarkeit ist eines sicher: Der Brexit wird uns und unsere Mitgliedsunternehmen noch lange Zeit beschäftigen.


Bleibt mit dem lang erwarteten Deal nicht vieles beim Alten? 

Eindeutig nein. Es war von vornherein klar, dass es einen großen Unterschied ausmacht, ob das Vereinigte Königreich Teil der EU ist oder wie jetzt ein Drittland. Der Handel mit UK ist zum 1. Januar 2021 komplexer und bürokratischer geworden. Warenströme werden in Zukunft stärker kontrolliert und der administrative Aufwand steigt für alle Glieder der Lieferkette. Was häufig übersehen wird: Auch wenn überwiegend keine Zölle anfallen, sind dennoch Zollanmeldungen abzugeben, denn Einfuhrumsatzsteuer ist auf jeden Fall zu entrichten. Erschwerend kommt hinzu, dass sich Unternehmen mit den verschiedenen nationalen Zoll-IT-Systemen, und dabei insbesondere mit dem neuen Border Operating Model in UK, auseinandersetzen müssen. Handelsunternehmen, die Waren nach oder aus UK ex- oder importieren, müssen eigene Kompetenzen aufbauen oder Dienstleister wie Speditionen oder Zollagenten beauftragen. In jedem Fall müssen neue Dokumentationspflichten erfüllt werden. Ausnahmen gelten für Nordirland, das zwar zum Zollgebiet des Vereinigten Königreichs gehört, aber zollrechtlich so behandelt wird, als wäre es Teil des EU-Zollgebiets.


Sind deutsche Speditionshäuser ausreichend auf die Änderungen vorbereitet?

Wir haben unsere Mitgliedsunternehmen schon frühzeitig über die zu treffenden Maßnahmen im Falle eines No-Deal-Brexit und die daraus resultierenden Zollbedingungen unterrichtet. Bereits im Herbst 2018 hat der DSLV gemeinsam mit dem deutschen Zoll Informationsveranstaltungen durchgeführt. Lange Zeit galt der No-Deal als die wahrscheinlichste Variante des Brexit. Viele der damit verbundenen Folgen sind auch beim jetzt geschlossenen Abkommen relevant.

Loginfo24; Niels Beuck; DSLV; Brexit

Niels Beuck, DSLV-Geschäftsführer und Leiter Europäische Angelegenheiten

Die Mehrheit der Logistikunternehmen hat sich in den letzten Jahren sehr intensiv auf verschiedene Szenarien vorbereitet, indem sie Personal aufstockten und zu Experten ausbildeten, in neue IT investierten, Prozesse anpassten und ihre Kunden informierten. Diese Vorbereitungen zahlen sich jetzt aus. Aber natürlich funktionieren die neuen Abläufe nur dann reibungslos, wenn der erst vor zwei Wochen beschlossene und bekannt gemachte neue Rechtsrahmen vollständig implementiert wurde und das Wissen der Logistikkunden aus Industrie und Handelshäusern entsprechend vorhanden ist.

Nach unseren bisherigen Erfahrungen gehen noch zu viele Unternehmen der verladenden Wirtschaft und auch kleinere Transportunternehmen, die bislang alleine im EU-Binnenmarkt agierten, von falschen Voraussetzungen aus und sind deshalb nicht entsprechend vorbereitet. Obwohl für den Handel mit Drittstaaten seit Jahren in Kraft, überfordern die nun seit Jahresbeginn umzusetzenden Zollabfertigungen und Dokumentationspflichten diese Unternehmen. Es wird höchste Zeit, dass sie sich mit den für den EU-UK-Verkehr neuen Zollförmlichkeiten und Systemen auseinandersetzen.


Während der Weihnachtstage stauten sich bis zu 10.000 Lkw kilometerlang an den Grenzübergängen zwischen UK und der EU. In den ersten Tagen nach Inkrafttreten des Abkommens blieben die erwarteten Staus hingegen aus. Sorgt das Abkommen also bereits für Ordnung?

Nein, leider kann ich da keine Entwarnung geben. Die Grenzstörungen hatten pandemiebedingte Ursachen, haben uns aber wahrscheinlich schon einen Vorgeschmack darauf gegeben, was in den nächsten Wochen Realität an den Grenzübergängen werden könnte. Viele Unternehmen haben dies antizipiert, deshalb sind die Industrie- und Handelslager in UK derzeit bis an die Kapazitätsgrenzen gefüllt. Im November und Dezember 2020 wurden 50 Prozent mehr Güter über den Ärmelkanal befördert als in den Jahren zuvor. Die Bestände reichen voraussichtlich noch zwei bis drei Wochen. Nach dem ohnehin saisonbedingten Abflachen der Verkehrsleistungskurve zu Jahresbeginn erwarten wir jetzt einen schnellen Anstieg des EU-UK-Verkehrs. Schon ab der zweiten Januarwoche werden die Probleme an den Grenzübergängen wieder zunehmen. Besonders deutlich dürften sich die Schwächen des Systems dann in der Grafschaft Kent zeigen, wo Lkw auf eine Genehmigung warten müssen, bevor sie die Fähranalgen in Dover anfahren dürfen. Hinzu kommen die Corona bedingten Verschärfungen des Einreiserechts. Damit sich nicht zwei Problem potenzieren, müssen die britischen Behörden unbedingt sehr pragmatisch vorgehen.


Welche Herausforderungen sind jetzt vordringlich zu bewältigen?  

Täglich ergeben sich neue praktische Detailprobleme, seien es technische Mängel der Unternehmens- oder Behörden-IT, ausbleibende oder widersprüchliche Kommunikation vor allem der britischen Behörden oder eben die bereits angesprochenen Wissensdefizite einiger Unternehmen in der Lieferkette. So wird häufig verkannt, dass Waren im Verkehr zwischen der EU und UK nur dann zollfrei sind, wenn sie EU- oder UK-Ursprungswaren sind und dies durch sogenannte Präferenznachweise belegt wird. Diese präferenziellen Ursprungsregeln sind rechtlich und materiell äußert komplex. Vereinfacht gesagt muss der überwiegende Teil der in einem Endprodukt enthaltenen oder verarbeiteten Vormaterialen aus dem Gebiet der EU oder dem Vereinigten Königreich stammen, damit keine Zölle entstehen. Dies ist im Automotive-Sektor oder in der Textilindustrie kaum der Fall. Auch fehlende Anerkennungen von Veterinärbescheinigungen und die Behandlung von Verpackungsmaterial werden auf absehbare Zeit Probleme in der Praxis verursachen. Der DSLV ist hierzu in ständigem Kontakt mit britischen, deutschen und europäischen Behörden, damit diese Hürden schnell und unbürokratisch beseitigt werden.

Titelfoto: © Adobe Stock

www.dslv.org

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