Wieder einmal entsteht durch revolutionäres Denken eine neue Wirklichkeit, die es in dieser Form noch nie gegeben hat. Dafür sind die visionären Architekten der Bjarke Ingels Group ja schon bekannt. BIG entwarf für den norwegischen Möbelhersteller Vestre AS die umweltfreundlichste und transparenteste Möbelfabrik der Welt, die gleichzeitig Ausflugsziel sowie Erlebnis- und Lernort für alle Besucher ist. Das ist einzigartig.
(Nürtingen/Magnor) Versteckt in einem Kiefernwald hinterlässt die Passivhaus-Fabrik in Magnor den kleinsten nur denkbaren Fußabdruck. Dazu trägt auch die 4.800 m² große ZinCo Dachbegrünung in regionaltypischer Biodiversität bei, welche das Garten- und Landschaftsbauunternehmen MATTAK AS geplant und ausgeführt hat. In die bis zu 20° geneigten Grünflächen sind 888 Solarmodule eingebettet und produzieren rund 250.000 kWh erneuerbare Energie pro Jahr. The Plus ist ein echtes Plus für Mensch und Umwelt und sendet sein positives Signal über alle Waldgebiete der Erde hinweg.
Das international tätige Unternehmen Vestre AS stellt seit über 75 Jahren Stadtmobiliar her und das auf besonders nachhaltige Weise. Vestre hat 9 von 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen direkt in die Geschäftspolitik implementiert und misst seinen Unternehmenserfolg eben nicht nur am finanziellen Ergebnis, sondern auch an ökologischen und sozialen Erfolgen. Bei der Standortsuche für ein neues Fabrik-Gebäude fiel die Wahl auf das norwegische Dörfchen Magnor, das gerade mal 900 Einwohner zählt und im Süden der Provinz Innlandet liegt – und zwar 3 km von der schwedischen Grenze und 50 km Luftlinie vom schwedischen Vestre-Standort in Torsby entfernt. Traditionell ist in dieser waldreichen Gegend die Glas- und Holzindustrie ansässig.
In direktem Kontakt mit dem Wald
Vestre und BIG vereinte der Wunsch nach einem Gebäude, das ökonomisch, nachhaltig und sozial zugleich ist. An diesem Punkt war die Idee geboren, die Fabrik direkt in einen gepflanzten Kiefernwald zu betten und sowohl das Gebäude also auch die 300 Hektar Waldfläche als Erlebnisort für alle zugänglich zu machen. Besucher können bei Führungen die Möbelherstellung kennenlernen, sich über Energieerzeugung, Rückgewinnung, Wasseraufbereitung oder die Lebenszyklen der Materialien informieren. Zugleich sollen die Menschen die Ressource Wald erleben und haben die Möglichkeit zu picknicken und zu campen. Das Besondere an der gesamten Gebäudegeometrie von The Plus ist, dass man ringsum durch die riesigen Glasfassaden wie durch große Schaufenster direkt in die Produktion blicken kann. Und Zugänge zur offensten und transparentesten Fabrik der Welt gibt es viele. So führen zum Beispiel zwei 150 Meter lange, linear gegenläufige Fassadentreppen auf das 6.350 m² große Dach, von dem aus nicht nur die Flügel des kreuzförmigen Gebäudes einsehbar sind, sondern auch der zentrale runde Innenhof mit seinem solitären Ahornbaum. Dorthin führt eine kreisförmige Treppe. Wer Lust auf eine Rutschpartie hat, nimmt alternativ die Kurvenrutsche vom Dach nach unten.
Im Zuge der weiteren Raumentwicklung sollen sich zudem 250 Meter lange Fußwege durch den Kiefernwald in die Höhe schlängeln und das 15 Meter hohe Dach erklimmen. Man könnte sagen, The Plus wird dann Aussichtsplattform auf einem langen Baumwipfelpfad.
Kleiner Fußabdruck
Während der Bauphase war oberstes Gebot, den gepflanzten Kiefernwald so nah wie möglich am Gebäude zu erhalten. Bäume wurden nur dort gefällt, wo absolut nötig, und ihr Holz direkt als Baumaterial für The Plus verwendet. Wichtig zu bewahren war auch der Waldboden selbst, da dieser nichts anderes als eine riesige Samenbank darstellt. Er wurde also sorgfältig abgetragen und später in der Umgebung und auch auf der Dachbegrünung wieder ausgebracht. Um die Eingriffe in die Natur so gering wie möglich zu halten, installierte man alle nötige Infrastruktur wie Strom, Glasfaser, Wasser und Kanalisation entlang der vorhandenen Straßen.
The Plus erreicht in der BREEAM-Umweltbewertung die allerhöchste Stufe „Herausragend“, was nur ein Prozent aller neuen Industrieprojekte weltweit gelingt. Dazu tragen viele Aspekte bei: die hervorragende Wärmedämmung und Fenster mit minimalem Energieverlust, Wärmetauscher und eine Reihe von geothermischen Brunnen, ein fortschrittliches Energieversorgungssystem mit Nutzung der Abwärme aus der Produktion und die Kombination von Solarenergie und Dachbegrünung. Insgesamt ist der Energiebedarf des Gebäudes um 90 Prozent geringer als der einer vergleichbaren konventionellen Fabrik. Einzigartig ist bei Vestre auch, dass über viele Jahre gebrauchte und abgenutzte Möbel erneut in die Fabrik gebracht werden können zur Restaurierung und Wiederverwendung. Dazu verfügt The Plus über eine eigene Kreislaufproduktionslinie. Diese zirkuläre Möbelproduktion senkt den Energieverbrauch drastisch und auch der Wasserverbrauch ist bei The Plus minimal, da über 90 Prozent des in der Produktion verwendeten Wassers recycelt werden.
Dach mit regionaltypischer Biodiversität
Die Architekten haben dem Dach von The Plus eine besondere Geometrie dadurch verliehen, dass jeweils eine Ecke jedes Gebäudeflügels angehoben ist. So hat man beim Zugang aufs Dach gleichzeitig Einblick ins Gebäudeinnere und Ausblick auf die Gebäudeflügel.
Das erfahrene Garten- und Landschaftsbauunternehmen MATTAK AS war maßgeblich beim Design und der Projektplanung des Daches verantwortlich und übernahm die komplette Ausführung der Dachbegrünung.
Die Rahmenkonstruktion des zwischen 0° und 20° geneigten Daches besteht aus Brettschichtholzträgern mit freien Spannweiten von 24 Metern. Für die Dämmung wurden Holzfasern eingesetzt. Auf einer bereits wurzelfest ausgebildeten Abdichtung startete der ZinCo Systemaufbau beginnend mit der Speicherschutzmatte SSM 45 und den Drän- und Wasserspeicherelementen Floradrain® FD 40. Diese 40 mm hohen Elemente aus tiefgezogenem Recycling-Polyolefin speichern Wasser in ihren Mulden und leiten Überschusswasser dank unterseitigem Kanalsystem sicher ab. Das ist die richtige Basis für die gewünschte Bepflanzung der Flächen mit höherem Artenreichtum und bietet dank vollflächiger Verlegung auch die erforderliche Lagesicherheit bis in die stärker geneigten Dachbereiche.
Es folgte das Systemfilter SF als Abdeckung sowie rund 12 bis 40 cm Substrat, das in Turbobags via Kran aufs Dach gebracht wurde. MATTAK AS hatte dazu eigens eine Substratmischung hergestellt unter Verwendung des vormals abgetragenen Waldbodens, um die verschiedenen heimischen Arten anzusiedeln. Neben dieser Ausbringung der Pflanzen in Form von Samen im Waldboden, setzte man sage und schreibe auch 20.000 Pflänzchen, welche in der Umgebung als Stecklinge gesammelt und extra kultiviert worden waren. Durch die Nutzung dieses biologischen Materials wächst auf dem Fabrikdach genau die Artenvielfalt, die für die Region typisch ist. Das ist die hochwertigste Form der Vegetationsansiedlung, zumal gebietseigene Flora auch die passende Nahrungsgrundlage für die heimische Insektenwelt darstellt. Um die Vegetation zu etablieren, bewässerte MATTAK AS das Biodiversitätsdach in der Anwachsphase und kümmert sich auch über die erste Saison hinaus um die Pflege.
Gründächer in Kombination mit Solaranlagen
Gründächer sind wunderbar mit Solaranlagen zu kombinieren, das wissen auch die Architekten bei BIG. Synergieeffekte ergeben sich beispielsweise dadurch, dass die Bepflanzung für eine kühlere Umgebungstemperatur sorgt und damit ihren Ertrag erhöht. In dieser Hinsicht haben die 888 Solarmodule von The Plus auch durch die Waldumgebung und ihren klimatischen Standort einen Pluspunkt. So werden pro Jahr rund 250.000 kWh Strom produziert.
Für die fachgerechte Planung einer Solaranlage sind eine ganze Reihe unterschiedlicher Einflussfaktoren von Bedeutung: Standort des Gebäudes (Windzone, Geländekategorie, Sonnenexposition), Geometrie und Höhe des Gebäudes sowie die Position der Anlage auf dem Dach (Innen-, Rand- oder Eckbereich). Ausgelegt auf die objektspezifischen Gegebenheiten bietet auch ZinCo ein umfangreiches Produktportfolio rund um das Thema Solar und Grün.
Entwicklung für die Zukunft
Mit der Eröffnung von The Plus am 3. Juni 2022 ist das Projekt noch nicht abgeschlossen. In den Folgejahren werden in dem 300 Hektar großen Waldgebiet Spiel- und Picknickplätze entstehen, ein lyrischer Pfad und ein Aussichtsturm sowie Klettermöglichkeiten auf megagroßen Vestre-Möbeln. Eine neue Brücke über das Flüsschen Vrangselva wird den Park mit der Ortschaft Magnor verbinden. Mit dem Gemeinderat arbeitet Vestre auch an der schrittweisen Entwicklung einer größeren Biodiversität im Wald, der durch Bewirtschaftung und Rodung bislang nicht wild wachsen konnte.
Mit dem gesamten Konzept demonstriert Vestre, wie es möglich ist, Industrie, Klima und Natur zu vereinen. The Plus ist ein inspirierendes und lehrreiches Industrieprojekt mit echter Symbolkraft über Branchen- und Ländergrenzen hinweg – ein positives Zeichen für die Zukunft ganz nach dem Motto von Vestre „Jeder kann die Welt retten. Zumindest ein bisschen“.
Titelfoto: © Michelle Berg