Die Konsortialstudie «Konzepte der Automobillogistik der Zukunft» untersucht die auf die Automobilindustrie und deren Inbound-Logistik wirkenden Veränderungen und Trends sowie deren Auswirkungen auf die Logistikprozesse und -strukturen. Unter Berücksichtigung dieser Einflussgrössen werden die Logistikkonzepte der Automobilindustrie kritisch geprüft, um darauf aufbauend künftige Logistikkonzepte zu entwickeln. Die Studie wurde erstellt unter Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Stölzle und Leon Zacharias vom Institut für Supply Chain Management der Universität St. Gallen.
(St. Gallen) Die Automobilindustrie gehört gemessen an der Anzahl der Beschäftigten und ihrem Wertschöpfungsanteil an der Volkswirtschaft zu einer der wichtigsten Industrien in der Europäischen Union. Seit Jahren gehören die produzierten Fahrzeuge, die vorhandenen Konzepte und Prozesse zum Best Practice auf dem internationalen Markt. Stark auf Effizienz und Innovation getrimmt wurden in den vergangenen Jahrzehnten immer leistungsfähigere Logistiklösungen zur Versorgung der Werke realisiert. Die übrigen Akteure in der Inbound-Logistik (Zulieferer und Logistikdienstleister) tragen neben den Herstellern ebenso zu diesem Erfolg bei.
Die Identifizierung von relevanten und einflussreichen Trends bildet den Ausgangspunkt für die in dieser Studie überprüfbaren Anpassung und Neukonzeptionierung von Prozessen für die Inbound-Logistik.
Zahlreiche Interviews mit Experten verschiedener Branchen
Mit Hilfe von zahlreichen Interviews mit Experten aus verschiedensten Branchen und der eng getakteten Zusammenarbeit können nicht nur technologische, sondern auch gesellschaftliche und ökonomische Trends sowie deren kritische Masse für die Branche in einen Sachzusammenhang gesetzt werden. Diese Trends sind den sechs Veränderungstreibern Digitalisierung und Transparenz, Rohstoffe und Produktion, Geschäftsbeziehungen zwischen den Akteuren, Sendungsstrukturen und Gefahrgüter, Flexible Logistikprozesse und Agilität sowie Öko-logische Nachhaltigkeit zugeordnet. Aus den Trends lassen sich gestützt auf die Szenario-technik zwei Szenarien ableiten, die mögliche Zukunftsbilder der Automobilindustrie und deren Inbound-Logistik zeichnen. Die sechs Veränderungstreiber wirken in jedem Szenario, teils in stark unterschiedlicher Ausprägung.
Szenario A: «Der Automobilstandort Europa nutzt sein Potenzial»
Im vorliegendem Zukunftshorizont (fünf bis acht Jahre) besteht weitgehende Datentransparenz entlang der Logistikprozesse, auch um die nötigen Anforderungen an Resilienz und Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Die OEMs sind künftig nicht mehr reine Automobilhersteller, sondern gleichzeitig Mobilitätsanbieter und adaptieren ihr Geschäftsmodell dementsprechend. Die Software in den Fahrzeugen bildet eine wichtige Ergänzung zur Hardware und er-weitert diese teilweise, mit Folgen beispiels-weise für die Sendungsstrukturen und Transportvolumina. Ökologische Nachhaltigkeit ist eine wichtigen Zielgrösse für die Partner im Automotive-Netzwerk. Dazu gehören der Einsatz von alternativen Antrieben auch im Langstreckenverkehr sowie Circular-Economy-Ansätze entlang der gesamten Lieferkette.
Szenario B: «Die europäische Automobilindustrie verliert im internationalen Benchmark»
Das Szenario B fällt deutlich pessimistischer aus, denn neue Player revolutionieren die Branche und stellen die europäische Industrie in den Schatten. Lieferketten werden weiterhin bestandsarm geführt und bedingen somit neue Engpässe, Lieferschwierigkeiten und zeitweise Produktionsschliessungen. Logistikdienstleister übernehmen deutlich mehr Aufgaben als zuvor. Nachhaltigkeitskonzepte (Ökologische Nachhaltigkeit) werden nur dann forciert und realisiert, wenn regulatorische Rahmenbedingungen dies voraussetzen. Einheitliche Standards für Gefahrgüter fehlen genauso wie Standards für den Austausch von Daten und Informationen ent-lang der Lieferketten.
Zukunftskonzepte für die Automobilindustrie
Die Veränderungstreiber und die beiden Szenarien sind Grundlage für angepasste respektive, neu entwickelte Konzepte.
- Car Chain Visibility bildet ein Gesamtkonzept für mehr Transparenz, Datenaustausch und robustere Lieferketten.
- FutureWOW revolutioniert das Fahrzeug- respektive Transportbehälter-bezogene Bestandsmanagement und schafft Mehrwert für OEMs, Logistikdienstleister und Zuliefe-rer.
- Im Zukunftskonzept OFTO werden mit Hilfe einer nachhaltigkeitsorientierten Zielstellung nur noch voll ausgelastete Ladungseinheiten beim OEM empfangen.
- Der Pizza Run ermöglicht ausgelastete Touren zum Zulieferer und OEM und zugleicheine hohe Anlieferungsfrequenz unter Verzicht auf zusätzliche Lagerbestände.
- Trailer Drive bietet eine emissionsfreie Transportlogistik durch die elektronische Unterstützung einer konventionellen Zug-maschine oder durch die Einspeisung/Versorgung der Elektromotoren der E-Zugmaschine an.
- Urban Future kann künftig OEMs und weitere Empfänger in urbanen Gebieten lautlos und CO2-arm durch die Luft versorgen und gleichzeitig Personen transportieren.
- Green Industry Cluster ist eine weitreichende Neukonzeptionierung von herkömmlichen Industrieparks und kann in sozialen, ökologischen und ökonomischen Belangen neue Standards setzen.
- Das Zukunftskonzept FlexJIS kombiniert das etablierte Just-in-Sequence-Konzept mit einer flexiblen Lagerhaltung zur Abfederung kurzfristiger Lieferschwierigkeiten und Disruptionen in den Lieferketten.
- Energy Hubs ermöglichen trotz limitierter Reichweite von E-LKW künftig wohl auch Langstreckentransporte, emissionsfrei.
Diverse Faktoren beeinflussen die Zukunftskonzepte
Für die Umsetzung der Zukunftskonzepte sind besondere Enabler zu beachten, welche die Wirksamkeit der Konzepte beeinflussen: Fachkräfte aktiv gewinnen und halten, ein modernes und intelligentes Parkplatzmanagement schaffen sowie das Tender-Management anpassen. Damit spannt sich der Faden der automobilen Inbound-Logistikkonzepte von morgen von relevanten Trends als Impulsgeber bis hin zu Enablern für die Umsetzung der Konzepte.
Download der Studie
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