120.000 Geschäfte, prognostiziert der Handelsverband Deutschland (HDE), werden bis zum Ende der Pandemie schließen müssen. Die Gewerbemieten sinken, Onlineanbieter wagen sich jetzt in A-Lagen vor, reale Shops und Onlinewelt sollen verschmelzen. Ein Blogartikel von Dirk Mewis für den Logistikfinanzdienstleister JITpay.
(Braunschweig) Angesichts steigender Infektionszahlen und Verschärfungen des Lockdowns hat sich die Konsumstimmung der deutschen Verbraucher wieder verschlechtert. Für Mai sagt das Marktforschungsunternehmen GfK jetzt einen Wert von minus 8,8 Punkten voraus und damit 2,7 Punkte weniger als im April. „Die dritte Welle wird dafür sorgen, dass die Erholung der Binnenkonjunktur weiter auf sich warten lässt“, erklärt GfK-Experte Rolf Bürkl. Und „der Konsum wird in diesem Jahr – wie bereits 2020 – keine Stütze der Konjunktur sein“, fügt Bürkl hinzu. Dagegen hätten in den Jahren vor der Corona-Krise die privaten Konsumausgaben noch einen wichtigen Beitrag zum Wachstum der deutschen Wirtschaft geleistet.
Besonders hart traf der Corona-Lockdown dabei den Textilhandel. Aber auch Möbelhändler und Heimwerkermärkte verzeichneten einen deutlichen Umsatzrückgang. Der Online- und Versandhandel profitierte dagegen von den Geschäftsschließungen, E-Commerce legte im ersten Quartal um fast 30 Prozent zu.
Des einen Freud – Des andern Leid/Mietpreise an A-Lagen sinken
Während viele Geschäfte bis zum Ende der Pandemie schließen werden müssen, ist Felicity Pietsch, Chefin der Rostocker Lederwaren-Manufaktur Gusti, seit kurzem Pächterin eines 50 Quadratmeter-Ladens in der Rosenthaler Straße in Berlin, einer Eins-a-Hauptstadtlage. „Früher hätten wir uns so ein Geschäft nie leisten können“, sagte Pietsch dem Nachrichtenmagazin Spiegel. Viel zu teuer die Miete, viel zu gering gemessen daran ihr Umsatz und Gewinn. Sie und ihr Mann Christian, hätten sich deshalb entschieden, ihre Produkte fast nur online zu verkaufen – im eigenen Shop, bei Zalando, About You, Amazon – und nur vereinzelt auch Läden auszuprobieren. Jetzt aber, mitten in der Pandemie, die Zehntausende Einzelhändler die Existenz kosten wird, ändert sich das.
Nicht nur Gusti expandiert. Auch andere Onlineanbieter nutzen die Gunst der Stunde und wagen sich in die teuren Adressen vor, die A-Lagen, jene Straßen mit der höchsten Kundenfrequenz. Die sinkenden Gewerbemieten infolge des Ladensterbens machen’s möglich. 120.000 Geschäfte, prognostiziert der Handelsverband Deutschland (HDE), werden bis zum Ende der Pandemie schließen. „Lange waren A-Lagen ein reiner Vermietermarkt“, sagt Marco Atzberger vom EHI Retail Institute. „Seit den Siebzigerjahren stiegen die Preise, Besitzer konnten jeden beliebigen Kurs aufrufen.“ Innenstädte seien so zu Anlageobjekten internationaler Investoren geworden. Jetzt brechen die Mieten teils um 30 Prozent ein.
Reale Shops und Onlinewelt verschmelzen
Auch der Fahrradhändler Rose Bikes aus Bocholt macht sein Geschäft hauptsächlich online; lange gab es überhaupt nur drei Shops. Bis zu zwölf neue Standorte plant der Händler jetzt: Garmisch-Partenkirchen, Basel, Bern, Frankfurt, Hamburg und einen zweiten Laden in Berlin – immer im Zentrum.
Was vielen alten Händlern nie so richtig gelang, versuchen nun die neuen: Reale Shops und Onlinewelt sollen verschmelzen. Für Multichannel-Händler sind dabei eine flexible Logistik und die komplette Bestandsübersicht im Stationär- und Onlinegeschäft ganz entscheidend.
Internethändler eschliessen sich in der Stadt neue Zielgruppen
Auch dem Brillen-Start-up Mr. Spex kommen die sich leerenden Innenstädte gelegen. Mr. Spex will Filialen der Parfümeriekette Douglas übernehmen. Während die Duftkette ihr stationäres Geschäft radikal schrumpft und das Onlineangebot ausbaut, hat Netz-Optiker Spex seine ‚Expansionsstrategie‘ vor allem in der City geplant. Mehr als 20 Läden hat er seit Anfang vergangenen Jahres eröffnet, in Deutschland, Österreich und Schweden. Vertriebsmanager Jens Peter Klatt beobachtet „überfällige, teilweise deutliche Mietreduktionen“. Für ihn bedeute das „attraktive zusätzliche Wachstumschancen“.
Beim HDE beobachtet man die Entwicklung mit Interesse. Es sei nachvollziehbar, dass sich Internethändler in der Stadt neue Zielgruppen erschließen wollten, statt ihr Geld nur in Suchmaschinenoptimierung und Onlinewerbung zu stecken, sagt Michael Reink, Experte für Handelsimmobilien. „Aber in einem Jahr sind die Mieten noch weiter unten.“ Er rate deshalb jedem, ein paar Monate zu warten.
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